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Wenn Maschinen Medizin sprechen

Gegenwart und Zukunft von Large-Language-Modellen in der Radiologie.

KĂŒnstliche Intelligenz (KI) ist in der Medizin lĂ€ngst angekommen: Bei der Bildanalyse, in der Spracherkennung und bei Systemen zur EntscheidungsunterstĂŒtzung – Algorithmen unterstĂŒtzen FachkrĂ€fte zunehmend im klinischen Alltag. Ein recht junger, aber hochdynamischer Bereich sind Large Language Models (LLMs). Diese speziellen KI-Modelle basieren auf riesigen Textmengen und sind darauf trainiert, Sprache zu verstehen und menschenĂ€hnlich zu erzeugen. Bekannte Vertreter sind Modelle wie GPT oder Claude. WĂ€hrend klassische KI-Algorithmen strukturierte und annotierte Daten benötigen, verarbeiten LLMs unstrukturierte Texte im Kontext und erkennen darin Muster – eine Eigenschaft, die neue Perspektiven fĂŒr die Radiologie eröffnet.

„Der entscheidende Unterschied ist, dass wir bei klassischen KI-AnsĂ€tzen stark strukturierte Daten benötigen. Bei LLMs hingegen funktioniert es ĂŒber den Kontext. Das eröffnet fĂŒr die Radiologie völlig neue Möglichkeiten“, erklĂ€rt Marcus Muth, Head of Portfolio Management DIIT bei Dedalus HealthCare. WĂ€hrend herkömmliche KI-Algorithmen Muster aus Bildbereichen erkennen können, erkennen LLMs Muster aus großen Textmengen. Diese Eigenschaft macht sie besonders wertvoll fĂŒr Anwendungen wie Chatbots, automatische TextvorschlĂ€ge oder Sentiment-Analyse.

Entwicklung noch am Anfang – aber vielversprechend

In der medizinischen Anwendung stehen LLMs noch vergleichsweise am Anfang. Zwar gibt es bereits erste Forschungsprojekte und Prototypen, doch ein ausgereiftes medizinspezifisches Sprachmodell existiert noch nicht. Die Richtung ist jedoch klar: Fachgesellschaften, Kliniken und Unternehmen arbeiten an eigenen, domĂ€nespezifischen Modellen fĂŒr ihre medizinischen Daten.
Ein vielversprechender Ansatz zeigt sich in der interdisziplinĂ€ren Zusammenarbeit: So diskutierten Radiologen, Medizininformatiker und Industrievertreter bei einem Roundtable der Deutschen Röntgengesellschaft ĂŒber den Einsatz von LLMs in der Befundung. Die zentrale Idee: multizentrische AnsĂ€tze, bei denen Daten verschiedener Einrichtungen zusammengefĂŒhrt werden, um robuste, praxisnahe Modelle zu entwickeln.

Erste Prototypen in der Erprobung

Die Möglichkeiten von LLMs in der Radiologie sind vielfĂ€ltig und vielversprechend. Dedalus HealthCare arbeitet bereits an konkreten Prototypen: „Wir nutzen im Bereich der Befundung Large-Language-Modelle, um mit dem Diktat eine strukturierte Befundung zu ermöglichen, ohne dass sich der Radiologe durch Templates klicken muss“, berichtet Muth. Eine weitere Entwicklung konzentriert sich auf die Erkennung von Befundinkonsistenzen, etwa Verneinungen oder Verwechslungen von Seiten. Das System ĂŒbernimmt den Befundtext, prĂŒft ihn und weist auf Fehler oder mögliche Verbesserungen hin. Sie können per Mausklick in den Befund ĂŒbernommen werden.
Weitere praktische Beispiele umfassen die UnterstĂŒtzung bei der IndikationsprĂŒfung durch die Analyse aller vorliegenden Unterlagen und Informationen: „Ein Beispiel aus der Praxis ist die Anordnung eines MRT durch den Radiologen bei einem Patienten mit einem nicht MRT-fĂ€higen Herzschrittmacher. Hierauf können LLMs hinweisen“, erlĂ€utert Muth.
In der Patientenkommunikation sind klassische Chatbots fĂŒr Anmeldung oder Terminvergabe denkbar. Ein besonders prĂ€destinierter Anwendungsfall ist der patientenverstĂ€ndliche Arztbrief: „Man sagt: Bitte schreib mir den mit medizinischem Fachvokabular gespickten Brief so um, dass mein Patient ihn versteht. Das machen LLMs perfekt“, betont Muth.

Herausforderungen und Grenzen

Neben den Chancen gibt es auch Stolpersteine. Besonders das Thema Datenschutz spielt eine zentrale Rolle. Sensible medizinische Daten mĂŒssen geschĂŒtzt bleiben. Es ist sorgfĂ€ltig abzuwĂ€gen, welche Informationen einem Modell zur VerfĂŒgung gestellt werden dĂŒrfen. Auch ethische Fragen sind eng damit verbunden: Wie stellen wir sicher, dass Patientenrechte jederzeit respektiert werden?
Hinzu kommt die ZuverlĂ€ssigkeit der Ergebnisse. LLMs sind zwar leistungsstark, neigen aber in manchen FĂ€llen dazu, Inhalte zu „halluzinieren“, also frei zu erfinden. Durch gezieltes Prompting und sorgfĂ€ltiges Training lĂ€sst sich dieses Risiko reduzieren – ganz vermeiden lĂ€sst es sich nicht. „Es wird immer ein Restrisiko geben. Deshalb bleibt die Verantwortung klar beim Radiologen, der den Befund freigibt“, so Muth.
Ein weiterer Diskussionspunkt: Manche befĂŒrchten einen Kompetenzverlust seitens des Ă€rztlichen Personals, wenn es durch Maschinen unterstĂŒtzt wird. Muth widerspricht: „Im Gegenteil – LLMs ermöglichen, viel mehr klinische Informationen in die Befundung einzubeziehen, die bisher oft ungenutzt bleiben. Das stĂ€rkt Radiologen, statt sie zu schwĂ€chen.“
Ein weiterer SchlĂŒssel zum Erfolg in der Praxis ist die nahtlose Integration in RIS und PACS. Je komfortabler die Integration, desto grĂ¶ĂŸer die Akzeptanz. „Sobald Anwender ihre gewohnte Arbeitsumgebung verlassen mĂŒssen, sinkt die Bereitschaft dramatisch. Deshalb setzen wir auf tiefe, benutzerfreundliche Integrationen, die echten Mehrwert liefern“, so Muth.

Eine rosige Zukunft?

Wo stehen wir in fĂŒnf bis zehn Jahren? „Ich bin davon ĂŒberzeugt, dass LLMs dann in fast jeder Radiologie Einzug gehalten haben – sei es zur Befunderstellung, als Assistent bei der FehlerprĂŒfung oder in der Patientenkommunikation. Besonders die junge Generation wĂ€chst mit diesen Technologien auf und wird sie selbstverstĂ€ndlich einfordern“, ist Marcus Muth sicher. „Die Ergebnisse sind heute schon beeindruckend. In ein paar Jahren werden LLMs in der Radiologie so normal sein wie Sprachbefehle im Alltag. Wichtig ist, dass wir die Entwicklung aktiv gestalten: verantwortungsvoll, praxisnah und mit einem klaren Fokus auf den Nutzen fĂŒr Patienten.“

Large Language Models haben das Potenzial, die Radiologie nachhaltig zu verÀndern: Prozesse effizienter zu machen, FachkrÀfte zu entlasten und die Patientenkommunikation zu verbessern. Gleichzeitig erfordern sie einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten, klare Integrationsstrategien und ein realistisches VerstÀndnis ihrer Grenzen.
Die Diskussion hat gerade erst begonnen – und sie wird die Radiologie in den kommenden Jahren intensiv prĂ€gen.

Quelle: Marcus Muth, Dedalus Health Care