Ambitionierte Sanierung – Was wird von Regiomed übrigbleiben, Herr Musick?

Für die Insolvenz in Eigenverwaltung hat Regiomed-Geschäftsführer Michael Musick einen straffen Zeitplan. Von seinem Konzept ist er zutiefst überzeugt. Wird es zum Vorbild für Städte und große ländliche Regionen überall in der Republik?

Er selbst hat überhaupt keine Zweifel. Der Zeitplan steht und wird eingehalten. „Bis Ende März“, sagt Michael Musick, „ist für jeden Regiomed-Standort klar, wie es weitergeht.“ Anfang April werde das Insolvenzverfahren eröffnet, und drei Monate später, am 30. Juni, „sind wir fertig“.

Musick will Klarheit für die Region, für die Zukunft der sechs Akutkliniken und der anderen Einrichtungen und insbesondere für die Beschäftigten. Und irgendwie will der 44-Jährige wahrscheinlich auch selbst so schnell wie möglich wissen, was am Ende von dem Klinikverbund übrigbleiben wird, dessen Geschäftsführer er ist und in dessen Restrukturierung er schon so viel Energie gesteckt hat.

Er gibt eine hohe Schlagzahl vor

Musick arbeitet seit 2019 für Regiomed, dieses 2008 geschaffene, hochkomplexe, bundesländerübergreifende Gesundheitsunternehmen, das rund 400 Millionen Euro Umsatz macht und das nicht wenige als Fehlkonstruktion bezeichnen. Seit Oktober 2022 steht er an der Spitze des kommunalen Verbundes, der den Landkreisen Lichtenfels, Sonneberg und Hildburghausen sowie Stadt und Kreis Coburg gehört, und am 2. Januar 2024 hat er für zwölf von ursprünglich 17 GmbHs die Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet. 

Der Verbund

Der kommunale Gesundheitsverbund Regiomed wurde im Jahr 2008 gegründet. Die Thüringer Landkreise Hildburghausen und Sonneberg sowie auf bayerischer Seite der Landkreis Lichtenfels und der Krankenhausverband Coburg aus Stadt und Landkreis Coburg halten als Gesellschafter jeweils 25 Prozent. Zum Verbund gehören sechs Akutkliniken aus vier Landkreisen, die Rehaklinik Masserberg, vier MVZ, eine Medical School, drei Seniorenzentren und zwei Wohnheime für psychisch Kranke und seelisch Behinderte sowie der bodengebundene Rettungsdienst in Südthüringen und ein Unternehmen für zentralen Gastro- und Reinigungsservice. Insgesamt hat Regiomed mehr als 5000 Beschäftigte.

 

In dem Verfahren, mit dem sich das Unternehmen jetzt weiter saniert, gibt Musick, unterstützt vom Generalhandlungsbevollmächtigten Dr. Rainer Eckert und vom gerichtlich bestellten Sachwalter Hubert Ampferl, eine hohe Schlagzahl vor. Man arbeite „als sehr professionelles Team“ und wolle „gemeinsam optimale Lösungen“, sagt Musick.

Eine der wichtigsten Fragen ist, wer in dieser Zeit überhaupt in den Verbund oder einzelne Teile investieren wird. In den nächsten Tagen sollen die ersten indikativen Angebote diskutiert werden, so steht es in Musicks straffem Zeitplan. Will eventuell jemand trotz der Größe den gesamten Verbund integrieren, der medizinstrategisch als Vollversorger durchgeht und bis hin zum Rettungsdienst alles bieten kann? Welches Modell auch immer denkbar ist – Musick ist überzeugt, dass es Interessenten gibt – „definitiv“, sagt er, „ich bin hoch motiviert“. 

Wer wird investieren?

Der vergangene Freitag war ein wichtiger Stichtag im laufenden Investorenprozess für Regiomed: Bis zum 9. Februar konnten sich Interessenten am Bieterprozess beteiligen und Angebote für einen Unternehmenskauf abgeben. Insbesondere zählten auch die Landkreise, denen der Verbund gehört, zu den Interessenten, hieß es zuletzt von Regiomed. In dieser Woche nun würden alle Interessensbekundungen konsolidiert und diskutiert. Der Prozess bedeute nicht zwangsläufig, dass einzelne Unternehmensteile oder Einrichtungen aus dem Verbund herausgenommen würden, erklärte ein Sprecher. Es gehe vielmehr darum, alle denkbaren Optionen offen zu besprechen. 

Musik nennt es „GmbH-Tetris“

In dem Sanierungskonzept, das sie bis Ende März gemeinsam ausarbeiten, wird alles auf der Ebene einzelner GmbHs geplant und kann dann je nach der zukünftigen Konstruktion kombiniert werden. „GmbH-Tetris“, nennt Musick das. Unabhängig davon soll es weiter zentrale Einheiten geben, genauso wie eine übergeordnete Medizinstrategie für die gesamte Region. Insofern und in einer solchen Funktion könnte Regiomed auch nach dem 30. Juni noch da sein.

Die Form allerdings werde wahrscheinlich eine andere sein, sagt Musick, einzelne Geschäftsbereiche könnten andere Träger bekommen. Ob der Name weiter besteht – wer weiß das schon. Und ob der oder die neuen Investoren die Idee der zentralen Strukturen nutzen werden – das ist noch so eine dieser offenen Fragen. Sie schnüren da „ein theoretisches Paket“ zusammen, das weiß Musick. Aber er würde es begrüßen, wenn es funktioniert, darauf arbeitet er hin. 

Mit Tobias Vaasen hat der Regiomed-Verbund jetzt zusätzlich einen Chief Restructuring Officer (CRO) verpflichtet. Der 47-Jährige werde die Position für die nächsten sechs Monate übernehmen, erklärt ein Regiomed-Sprecher. Vaasen werde an den verschiedenen Regiomed-Standorten mit den jeweiligen Leitungen zusammenarbeiten, „um die individuellen Stärken und Potenziale der Einrichtungen in eine Gesamt-Strategie einzubringen“.

Das Unternehmen freue sich, mit Vaasen „einen erfahrenen Interim-Manager für die Stabsstelle Restrukturierung zu gewinnen, der bei der finalen Gestaltung und Umsetzung des Transformationsprozesses unterstützt“, so der Sprecher weiter. Vaasen kommt im Auftrag der Hospital Management Group (HMG) nach Coburg. Der Diplom-Sozialwissenschaftler ist seit dem 1. Februar 2024 dritter Geschäftsführer der HMG. Vor dem Wechsel war er als geschäftsführender Direktor im Klinikum Region Hannover für drei Standorte verantwortlich. 

Der 44-Jährige ist ein großer Freund einer regionalen Steuerungseinheit. „Das Konzept ist auch unter einer Trägervielfalt noch möglich und sinnvoll“, sagt er. Musick verfolgt eine Regionalstrategie, die sich am Patientenbedarf orientiert und die Trägerschaft außen vorlässt. Dazu schwebt ihm eine Art zentrale Gesundheitsholding vor.

Er scheut keine Kooperationen über Trägergrenzen hinweg, wie sie etwa schon mit dem Rhön Klinikum, der Sozialstiftung Bamberg, dem Klinikum Bayreuth und dem Klinikum Schweinfurth für einige Leistungsbereiche bestehen, er bietet Leistungen schon jetzt auch Dritten an und propagiert Industriepartnerschaften. Deshalb hat er wohl auch so unverdrossen weitergemacht, als kurz vor dem Jahreswechsel feststand, dass insolvenzrechtliche Schritte unvermeidlich sein würden.

Rückführung der Krankenhäuser – geplatzt

Am 21. Dezember 2023 hatten Stadtrat und Kreistag Coburg Musicks ursprüngliches Zukunftskonzept für Regiomed abgelehnt – und damit die Fortführungsprognose für den gesamten Verbund entzogen. Wie kma berichtet hat, sollten die vier beteiligten Kommunen ihre Krankenhäuser wieder in die eigene wirtschaftliche Verantwortung zurücknehmen und dann prüfen, wie sie die Themen Liquidität, Verlustausgleich und Zusammenarbeit neu aufsetzen. Nur zentrale Einheiten sollten weiter in der bisherigen Gesellschafterstruktur verbleiben. Das war das Konzept für die wirtschaftliche Neuausrichtung des angeschlagenen Verbundes.

Am Ende waren dafür unter anderem 21 Verträge aufgesetzt worden, zudem ein Konsortialvertrag für die künftige Zusammenarbeit. Share-Deals waren formuliert, alle Satzungen neu geschrieben. So hätte der Verbund weiter extrem eng kooperieren können, beschreibt Musick. Gleichzeitig sollten die zentralen Einheiten, wie Zentralverwaltung und Service GmbH, als externe Dienstleistungen auch Dritten angeboten werden, sprich anderen Kliniken in der Region.

Für die geplante Neuausrichtung hatte Musick im vergangenen Jahr insgesamt fünf verschiedene Szenarien durchgespielt: einen Konzern Regiomed, vier oder fünf Konzerne Regiomed, alles war geplant. Er hatte 60 Wirtschaftspläne geschrieben und eine neue Fortführungsprognose, unterschiedlichste Änderungswünsche der Gesellschafter waren eingearbeitet, ein Banken-Monitoring war absolviert. So makaber es klingen mag – für den Eigenverwaltungsantrag war all das eine gute Grundlage. Die Daten mussten „nur“ neu zusammengepuzzelt werden.

Innerhalb von wenigen Tagen sei der Antrag fertig gewesen, sagt Musick. Das dauert normalerweise um ein Vielfaches länger. Der Geschäftsführer hat sich dabei klar positioniert: „Ich bleibe vorerst an Bord“, war seine Botschaft. Ob wie ursprünglich geplant oder jetzt durch das Verfahren – „das Ziel der wirtschaftlichen Neuausrichtung ist gleich – jetzt gehen wir nur einen anderen Weg“. Auch, so fügt er hinzu, wenn die Arbeitsintensität „unbeschreiblich“ sei. Die nächsten drei Jahre zu überbrücken, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten, bis die Krankenhausreform greifen wird – das war und ist sein Plan, unabhängig von der Trägerschaft.

Sein Regionalkonzept könnte Modellcharakter haben

Wenn bei Regiomed gelingt, was ihm vorschwebt, könnte das Konzept Modellcharakter für andere Standorte in der Republik haben. Das ist seine Vorstellung für die Zukunft: ein Regionalkonzept mit einer zentralen Gesundheitsholding als große steuernde Einheit im Zentrum. Dort liegt die Verantwortung für die Medizinstrategie sowie für zentrale Dienstleistungen wie beispielsweise IT, Personal, Einkauf und Zentralküche.

„Je größer die Einheit, desto mehr Spezialisten lassen sich auch einstellen – und müssen nicht mehr extern zugekauft werden.“ Aus der Medizinstrategie soll dann etwa ein entsprechendes Personal-, Digitalisierungs- und Medizintechnologiekonzept abgeleitet werden, „um möglichst effektiv eine Entlastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine hochwertige Patientenversorgung zu erreichen“, erklärt Musick. 

Das funktioniert garantiert, man muss nur den Mut haben. 

„Gesundheitsstädte in Ballungsräumen und große ländliche Regionen – das ließe sich gut planen“, sagt er: „Perspektivisch müssen wir da so rangehen – eine übergreifende Medizinplanung und über die zentralen Einheiten reden.“ Der Effekt würde jeder Region enorm guttun, sagt er und denkt etwa an einen zentralen Verwaltungsdienstleister in Köln, Frankfurt, aber auch in ländlichen Regionen, der alle Kliniken versorgt. „Die Mengeneffekte und die Professionalitätseffekte wären hervorragend.“ Genauso will er die administrativen Prozesse zentralisieren, durchprofessionalisieren und standardisieren.

Die Regiomed-Zentralverwaltung beweise, dass es funktioniere, betont Musick. Im Benchmark mit einem privaten Träger weiche das Unternehmen nur eine Vollkraft von dessen Niveau ab, versichert er, „auch in der Service GmbH“. Die Tätigkeiten will er am liebsten mit dem Einsatz von Robotik, zum Beispiel bei der Reinigung von großen Flächen, und KI-Projekten zur Arbeitserleichterung der medizinischen und administrativen Prozesse kombinieren – und dann vor allem konsequent in Regionen denken. „Das sorgt für die richtige Größe – und dann lässt sich auch viel machen.“ An diese Idee glaubt er, und in den Großstädten und großen ländlichen Regionen könnte es losgehen: „Das funktioniert garantiert, man muss nur den Mut haben.“

Vergangenheitsbewältigung seit dem Start

Jetzt muss er aber erst einmal die Sache mit Regiomed regeln. Ob es in Coburg wirklich soweit hätte kommen müssen? Missmanagement, Fehlentscheidungen, überdimensionierte Projekte – Musick kennt die Vorwürfe gegen die bisherigen Geschäftsführungen genau. Sie begleiten ihn, seitdem er bei Regiomed begonnen hat. Am Anfang bestimmte die Vergangenheitsbewältigung einen Großteil seiner Arbeitszeit.

Auch er stelle durchaus das eine oder andere Projekt und die eine oder andere Entscheidung aus der Vergangenheit infrage und räume jetzt Themen auf, „die eigentlich schon längst hätten erledigt sein müssen“, sagt er. Doch ihm ist es wichtig, einen Cut zu machen und die Energie in die Neuausrichtung zu lenken. „Natürlich gibt es Fehlentscheidungen, die man trifft – die werde ich auch getroffen haben“, erklärt er: „Aber man entscheidet ja immer nach bestem Wissen und Gewissen, mit allen Unterlagen, die da sind.“ 

Die Idee war genial, nur die Umsetzung war zu langwierig und komplex. 

Ob er einen solchen Verbund so noch einmal schmieden würde? „Ja, definitiv“, sagt er, jedoch mit anderer Satzung und Entscheidungsstruktur. „Die Idee war genial, nur die Umsetzung war zu langwierig und komplex.“ Entscheidungsprozesse müssten viel schneller geführt werden können. Eine zu große Zahl an Gremien wirke bremsend.

In der aktuellen Variante reden bei jeder medizinstrukturellen Entscheidung rund 250 Kreistags- und Stadtratsmitglieder aus vier Landkreisen in zwei Bundesländern mit. Vieles muss in die kommunalen Gremien. Teilweise sind 15 Sitzungen mit den vorberatenden Gremien nötig, bis ein Beschluss durchgesetzt ist, dabei können bis zu sieben Monate vergehen. „Das ist definitiv zu langsam“, sagt Musick.

Nur 37 Kündigungen – „Zeichen des Zusammenhalts“

Er selbst ist auch jetzt im Eigenverwaltungsverfahren überzeugt, weiter den Rückhalt der Gesellschafter und der Gremien zu haben. Auch die Beschäftigten sieht er hinter der Sache. Von Ende Dezember 2023 bis in die erste Februarwoche hinein habe es gerade einmal 37 Kündigungen gegeben – bei insgesamt mehr als 5000 Beschäftigten in allen Regiomed-Einrichtungen. Für Musick ist das ein „Zeichen des Zusammenhalts auch in Krisenzeiten“.

Auch deshalb will er das jetzt hinbekommen. Er steckt tief drin in dem Verbund, auch operativ. Eine Zeit lang hat er selbst kommissarisch die Bereichsleitung Finanzen übernommen – auch weil das Thema „Zahlen, Daten, Fakten“ nicht in der Geschwindigkeit und mit der Qualität funktionierte, wie er es sich vorstellte. So ist er tiefer eingestiegen in die Businesspläne des Verbundes, in die Vollkostenrechnungen – um sie dann „effektiver“ aufzustellen.

Für die Steuerung des Gesamtverbundes ist grundsätzlich ein Management-Board gebildet, dem 18 Vertreter angehören, Bereichsleitungen, Krankenhausdirektoren und Einrichtungsleitungen. Derzeit trifft sich das Board dreimal pro Woche. „Ich will als Geschäftsführer bewusst nah dran sein, um in der Krisensituation auch schnelle Entscheidungen treffen zu können“, sagt Musick. 

Mich zu demotivieren, ist eine sehr große Herausforderung. 

Das hilft ihm jetzt, denn gerade läuft zusätzlich zum operativen Betrieb fast alles gleichzeitig: Investorenprozess, Sanierungskonzept, Eigenverwaltungsprozess, Lieferantengespräche, weitere Restrukturierung und Neuausrichtung – es ist ein straffer Terminplan. Musick will das genauso, offensichtlich passt das zu ihm.

Er sei immer intrinsisch motiviert, eine Lösung zu finden, betont er. Ein Stratege und Umsetzer, der nicht gerne auf politische Entscheidungen warte, sondern im Rahmen des bestehenden Systems Lösungen suche. „Mich zu demotivieren, ist eine sehr große Herausforderung“, sagt er und schmunzelt. Musick will beweisen, dass es funktioniert – und noch hat er in Coburg ja die Chance.

Quelle: Jens Kohrs (Freier Journalist) 2024 Thieme