Die Verlagerung von stationÀrer zu ambulanter Versorgung hat auch juristische Effekte. RechtsanwÀltin Sylvia Manteufel erklÀrt am Beispiel einer Patient Journey, warum Kliniken unbedingt agieren statt reagieren sollten, wenn es um Ambulantisierung geht.
Sylvia Manteufel hat sich als RechtsanwÀltin in eigener Kanzlei in Leipzig auf den Bereich der Telemedizin spezialisiert und betreut Leistungserbringer wie auch InnovationstrÀger aus dem Gesundheitswesen.
âDie Krankenhausreform ist zurĂŒck in der Spurâ, so zumindest die zuversichtliche EinschĂ€tzung unseres Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach zum derzeitigen Stand der Dinge. Dabei gibt es diesbezĂŒglich noch immer keinen öffentlichen Referentenentwurf. Welcher Status quo lĂ€sst sich also in Anbetracht dessen fĂŒr die geplante Ambulantisierung, einem wichtigen Bestandteil der Krankenhausreform, feststellen?
Absolute Krisenlage versus neue Wege
Entsprechend der durchgefĂŒhrten Befragungsreihe âIm Fokusâ der Stiftung Gesundheit zeigten sich niedergelassene Ărztinnen und Ărzte zuletzt skeptisch, was die Verlagerung weiterer stationĂ€rer Leistungen in den ambulanten Sektor betrifft. Die mit Abstand gröĂte Sorge wird in diesem Zusammenhang in der eigenen Mehrbelastung gesehen, zum Beispiel durch Patientinnen und Patienten, die bei Komplikationen nach einer stationĂ€ren Behandlung ambulante Arztpraxen aufsuchen. Dabei sei der ambulante Sektor schon jetzt an vielen Stellen ĂŒberlastet â Arbeit bis zum Anschlag bei zur Neige gehenden KrĂ€ften. Der diesbezĂŒgliche Hashtag auf Social Media lautet #praxenkollapsâ als Ausdruck der absoluten Krisenlage, in der sich die ambulante Versorgung befindet.
Die Situation in den Kliniken ist Ă€hnlich dramatisch. Im Jahr 2023 haben bundesweit 33 Klinikstandorte Insolvenz angemeldet; DKG-Chef Dr. Gerald GaĂ rechnet in diesem Jahr mit bis zu 80 weiteren Klinikinsolvenzen. Kurzum: Sowohl in der ambulanten als auch stationĂ€ren Versorgung steht es fĂŒnf vor zwölf und die Frage ist, welche konkreten Umsetzungsmöglichkeiten es fĂŒr Kliniken gibt, die derzeitige Krisensituation als Chance zu verstehen und insofern der stationĂ€ren Gesundheitsversorgung zu einem strukturellen Neustart zu verhelfen.Â
Daher lautet aus Kliniksicht das Zauberwort der Stunde Ambulantisierung.Â
Es gibt KrankenhĂ€user, die bereits aktiv neue Wege gehen und beispielsweise begonnen haben, moderne digitale Behandlungspfade im sektorenĂŒbergreifenden Versorgungskontext zu etablieren â angefangen vom Check erster Erkrankungssymptome ĂŒber telemedizinische VersorgungsansĂ€tze bis hin zur Nachbehandlung nach erfolgreicher Therapie. Solche digitalen Behandlungspfade in Gestalt einer sogenannten Patient Journey können patientenseitig im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) des Krankenhauses durchlaufen werden, um nicht mehr jeden Patienten in die Uniklinik einzubestellen und um auch in der Peripherie die Patienten zu behandeln und so lange wie möglich in der hĂ€uslichen Umgebung zu behalten. Daher lautet aus Kliniksicht das Zauberwort der Stunde Ambulantisierung, gegebenenfalls in Verbindung mit einer telemedizinisch unterstĂŒtzten Patient Journey, bei welcher der einzelne Patient von den VorzĂŒgen der Kombination aus analoger und telemedizinischer Versorgung profitiert.
Es gibt keinen âFernbehandlungsvertragâ
Nur, welche juristischen Aspekte sind mit einem solchen patientenzentrierten Versorgungangebot verbunden?
ZunĂ€chst wird im zunehmend digitalisierten Berufsalltag immer wieder mit Staunen die Tatsache zur Kenntnis genommen, dass auch bei einer telemedizinischen Behandlung ein Behandlungsvertrag mit allen Rechten und Pflichten, insbesondere Facharztstandard, AufklĂ€rung, Einwilligung und Dokumentation, im Sinne der §§ 630 a ff. BĂŒrgerliches Gesetzbuch (BGB) zustande kommt. Ein rechtlich eigener Vertragstyp in Gestalt eines echten âFernbehandlungsvertragesâ, welcher speziell im telemedizinischen Versorgungskontext ein selbststĂ€ndiges Pflichtenprogramm vorgibt, existiert bisher nicht. Insofern ist diesbezĂŒglich â vertragsrechtlich gesprochen â kein Unterschied zur analogen Medizin festzustellen.Â
Insofern ist diesbezĂŒglich â vertragsrechtlich gesprochen â kein Unterschied zur analogen Medizin festzustellen.Â
HerzstĂŒck der juristischen TĂ€tigkeit im Rahmen einer telemedizinisch unterstĂŒtzten Patient Journey bildet die ĂberprĂŒfung der einzelnen Kooperationsbeziehungen insbesondere in Bezug auf sĂ€mtliche rechtliche Gesichtspunkte, die sich aus der Zusammenarbeit der darin eingebundenen Telemedizin-Anbieter beziehungsweise diesbezĂŒglichen Plattformbetreiber mit dem Krankenhaus-MVZ ergeben. So ist hier beispielsweise eine wichtige datenschutzrechtliche Frage, wer fĂŒr die Datenverarbeitung verantwortlich ist, die anlĂ€sslich der telemedizinischen Behandlung erfolgt.
In Betracht kommt vordergrĂŒndig der Anbieter der Behandlungsleistung oder die Person, mit welcher der Behandlungsvertrag geschlossen wird, beim Krankenhaus-MVZ wĂ€re das der KrankenhaustrĂ€ger. DarĂŒber hinaus wird dieses Thema â Einordung der datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit â auch fĂŒr alle weiteren innerhalb der Patient Journey arbeitsteilig eingebundenen Akteure relevant. AuĂerdem hat jeder einzelne Datenverarbeitungsvorgang auf Basis einer juristisch sorgfĂ€ltig ermittelten Rechtsgrundlage zu erfolgen.
Telemedizin ist mehr als nur der Datenschutz
In der Praxis wird der Datenschutz vielfach als das zentrale Rechtsthema eines telemedizinischen Vorhabens angesehen. Aber: Telemedizin ist mehr als nur Datenschutz und so gibt es im Rahmen einer telemedizinisch unterstĂŒtzten Patient Journey neben dem Datenschutzthema viele weitere Rechtsfragen, denen man als Klinikleitung mit der gleichen juristischen Aufmerksamkeit nachgehen sollte.
Zur Vermeidung unnötiger Auseinandersetzungen mit Patienten oder Kooperationspartnern ist hier an die rechtzeitige Einbindung juristischer Fachexpertise zu denken.
Gehen Sie ambulante, stationsersetzende Gesundheitsversorgung neu und mit dem nötigen Rechtsbewusstsein an! Lieber agieren statt reagieren lautet hier die Devise!
Quelle: Sylvia Manteufel 2024. Thieme