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„Hallo OP“ war gestern – Wie Namensschilder die Kommunikation im OP verbessern

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Rufe wie „Hey Du“ im laufenden OP-Betrieb sollen bald der Vergangenheit angehören. Vornamen auf den OP-Hauben sorgen für eine gezielte Ansprache, mehr Verantwortung und ein neues Teamgefühl. Über eine scheinbar kleine Änderung mit großer Wirkung.

Prof. Andreas Pascher ist Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Münster (UKM). Er war federführend beim Projekt „Power of the First Name“. Sein Rückblick: „Als ich die Leitung der Klinik vor sieben Jahren übernahm, wollte ich ein neues Team- und Führungsverständnis. Mir waren flache Hierarchien wichtig, weg von tradiertem Verhalten, Distanz und asymmetrischer Kommunikation, wo der Titel eine Rolle spielte, aber bei der Ansprache oft nicht klar war, wer Absender und wer Adressat war.“

Seit schwerpunktmäßig mit der Robotik gearbeitet wird und Chirurgen aus einer Konsole im Dunkeln „frei“ in den Raum sprechen, orientiert sich die Kommunikation in der Chirurgie am UKM sehr nah an der Flugsicherheit. Es gibt Checklisten und Sicherheitstrainings, eine exakte Ansprache und namentliche Nennung. Wichtig ist das, weil die Mitarbeiter aus Ärzteschaft, OP-Pflege, Anästhesie und viele andere stark an verschiedene Orte rotieren. „Da brauchen wir ein Wir-Gefühl, ein Zuhause-Gefühl, um in exakten Abläufen miteinander zu arbeiten und Wertschätzung zu vermitteln“, so Pascher. Das Projekt ist in die Magnet-4-Europe-Initiative am UKM eingebettet.

Die Idee entstand in Holland

Die Namensschilder werden im Schulterbereich oder – bei steriler Arbeit – am Kopf getragen. Um ein Teamgefühl und rasche interprofessionelle Erkennbarkeit zu erzeugen und alle anzusprechen, wurden runde Schilder für Azubis und eckige für Fachkräfte angeschafft. Die Farben orientieren sich an denen, die für die Fachbereiche am UKM zum Teil vorbestanden, wie grün für die Chirurgie oder rot für die Anästhesie. Die Idee dazu entstand bei der Zusammenarbeit mit Kollegen in der roboterassistierten Chirurgie in Holland. Im angloamerikanischen Sprachraum ist es schon lange üblich, Namen und Funktion am Kopf zu tragen. Allerdings sind es da wiederverwendbare Stoffhauben, die nicht unseren Hygienestandards entsprechen.

 

Universitätsklinikum Heidelberg

Die Etiketten kosten weniger als ein Cent pro Stück. Im OP sind sie in Spendern an die Wand im Zentralflur montiert, sortiert nach Berufsgruppen und Funktionsbereichen. Den Namen schreibt jeder mit dem Edding selbst ­darauf – so, wie er genannt werden möchte.

In Europa waren die Holländer die ersten, die mit gedruckten Etiketten auf den Einmal-Hauben arbeiteten. Von Mitte 2023 bis zum Frühjahr 2024 wurde das System dann in Münster erprobt und seit Ende 2024 auf alle OP-Bereiche ausgeweitet. Auf den Schildern stehen fast nirgends akademische Titel mehr. Für manche sei das schon eine Herausforderung gewesen, vor allem wenn sie länger dabei sind. Aber: „Kollegen sollen nicht mehr in Ehrfurcht erstarren, wenn sie angesprochen werden oder jemanden ansprechen. Der Inhalt eines Gespräches, nicht der Titel ist entscheidend“, sagt Pascher. Und so schreiben jetzt 85 bis 90 Prozent der Mitarbeiter nur ihre Vornamen auf das Schild, manche sogar ihre Spitznamen. Jeder kann selbst entscheiden, wie er angesprochen werden möchte, womit er sich am meisten wohl fühlt.

OP der leisen Töne, ruhig und konzentriert

Das Projekt sei eine kleine kostengünstige Intervention mit großer Wirkung. Pascher: „Wir sind jetzt ein OP der leisen Töne, es gibt keine verbalen „Übergriffe“ mehr und wir pflegen respektvollen Umgang. Niemand muss mehr die Profession oder Anforderungen in den Saal brüllen.“ Durch die neue Führungskultur haben sich Ruhe und Konzentration wesentlich verbessert. Mitarbeiter bleiben in Stress-Situationen ruhig. Es wird trainiert, wie im Notfall auf eine konservative OP umgestiegen werden kann. 

Niemand muss mehr die Profession oder Anforderungen in den Saal brüllen. 

Auch auf Notaufnahmen und Rettungsstellen, wo sich viele zwar vom Sehen, nicht aber beim Namen kennen, wird das Projekt ausgeweitet. Das Patienten-Risiko sinkt durch diese Sicherheitskultur.

Janina Achterholt, Bereichsleitung OP-Pflege am UKM, ist begeistert vom ­Namens-Projekt auf den OP-Hauben. Sie benennt die täglichen Probleme. „Man sucht jemanden, den man ansprechen kann, weiß aber keine Namen. Alle haben sterile Kittel drüber oder der Körper steht hinter dem Tuch und nur der Kopf schaut drüber. Wir haben wirklich ‚Hallo OP‘ oder ‚Hallo Anästhesie‘ gesagt.“

Auch die Vorbehalte hat Janina Achterholt noch im Kopf, wie „Ich kleb‘ mir doch kein Schild aufn Kopf“. Die Überzeugten sind dann mit gutem Beispiel vorangegangen, die Skeptiker folgten irgendwann freiwillig. Achterholt: „Ich fühle mich jetzt viel mehr wertgeschätzt. Wenn ich einen Vorschlag mache, hört man mir zu. Früher haben mir manche Kollegen nicht mal ‚Guten Tag‘ gesagt.“ Jetzt will sie mitfördern, dass sich jeder verantwortlich fühlt. Denn wenn jemand „namenlos unter dem Radar fliege“, könne er keine Verantwortung übernehmen.

„Sie“ oder „Du“?

Von der Ärzteschaft bis zur Pflege: Auch am Universitätsklinikum Heidelberg ziehen alle bei der Beschriftung der Hauben mit.

„Beim Duzen erleben wir gerade einen extremen Wandel“, berichtet Achterholt. Die meisten duzen sich inzwischen, das baut enorm die zwischenmenschlichen Befindlichkeiten ab.“ Wenn jemand einen nicht persönlich kenne, wird eben trotz Vornamen gesiezt. Oft entwickle sich auch „so ein Arbeits-Du“. Den Respekt bringe man sowieso durch sein Verhalten zum Ausdruck, nicht durch ein „Sie“ oder „Du“.

Identisches Projekt in Heidelberg

Am Universitätsklinikum Heidelberg läuft schon längerer Zeit das fast identische Projekt „Hey Du“. Initiator Prof. Christopher Neuhaus, Stellvertretender Ärztlicher ­Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Leiter des Heidelberger Anästhesie- und Notfallsimulationszentrum (HANS) hat das System seit Anfang März nach langem Vorlauf etabliert. Auch er hatte ­zuerst mit vielen Skeptikern zu tun. Von „Das brauch ich nicht – ich kenn ja alle“ über „Das ist nicht nachhaltig“ bis zu „Das ist zu teuer“ – nahm er allen den Wind aus den Segeln. Er machte Lobbyarbeit bei den Zugpferden in OP, Pflege, bei den Assistenten.

Heraus kamen Etiketten, die weniger als ein Cent pro Stück kosten. Im OP sind das 15 verschiedene, ordentlich in Spendern an die Wand im Zentralflur montiert, sortiert nach Berufsgruppen und Funktionsbereichen. Den Namen schreibt jeder mit dem Edding selbst ­darauf – so, wie er genannt werden möchte. Neuhaus: „Im Notfall können sich nun auch Leute direkt und schnell ansprechen, die sich nicht kennen.“

Im Schockraum gibt es wiederum andere Etiketten, sortiert nach den dort anzutreffenden Berufsgruppen wie Viszeral-Chirurgie, Traumatologie, Radiologie oder Ambulanz-Pflege. „In den OP-Sälen sind es jeden Tag ca. 150 Leute, inklusive Studenten, Gästen, Mitarbeitern von Fremdfirmen und so weiter“, sagt Prof. Neuhaus, „Viele kennen sich nur vom Sehen – jetzt können sie sich auch mit Namen ansprechen. Ich arbeite seit 15 Jahren hier und denke jetzt trotzdem jeden Tag, wie praktisch, dass auch der Name auf dem Schild steht.“ Das mache etwas mit dem Team und schaffe ein Wir-Gefühl.

Wissenschaftlich begleitetes Projekt

Wissenschaftliche Studien belegen, dass Teams, die gut miteinander kommunizieren, effizienter arbeiten. Und so ­arbeitet auch das Team um Prof. Pascher in Münster an einer laufenden Studie, die es schon als erste Auswertung per Publikation gibt. 

Es ist verwunderlich, dass so eine kleine, einfache Sache eine so große ­Wirkung hat. 

Sein Kollege, Dr. Alex­ander Bungert, Assistenzarzt in der ­Anästhesie, sagt: „Es ist verwunderlich, dass so eine kleine, einfache Sache eine so große ­Wirkung hat. Das schafft eine ganz ­andere Nähe.“

Wenn jemand sage „Tisch bitte runter“, fühle sich oft keiner angesprochen – mit Namen schon. Die Auswertung zeige eine bessere Atmosphäre durch häufigeres Duzen, selbst wenn ein Kollege zwei „Hierarchien“ darüber ist. Auch Studenten könnten nun Fehler benennen oder neue Dinge einführen. Im Juli wurde eine erneute Umfrage gestartet. Die Universitätskliniken Heidelberg und Münster planen gemeinsam die nächste Studie. Das Namensprojekt wird wissenschaftlich begleitet und weiterentwickelt.

Immer mehr Kliniken interessieren sich für das Projekt, unter anderem Helios, die ­Medizinische Hochschule Hannover und die Vivantes-Gruppe. In Hospitationen am UKM nehmen viele die Anregungen für ihre Häuser mit.

Quelle: Kathrin Reisinger (Freie Journalistin) 2025. Thieme