Skip to content

Hauptstadtkongress – Frau Hauth, Herr Scholz, wie sieht die Medizin von morgen aus?

Dr. Iris Hauth und Prof. Jens Scholz leiten das „Forum Medizin und Innovationen“ auf dem Hauptstadtkongress 2025. kma sprach mit beiden über die Krankenhausreform, den Arztberuf von morgen und Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen. 

Wie sehen Sie die von der alten Regierung angestoßene Krankenhausreform? Sollte man sie umsetzen, sind Nachbesserungen nötig und welche Auswirkungen wird die Reform haben?

Dr. Hauth: Die Reform war mehr als überfällig. Die neue Regierung muss sie zeitnah umsetzen, auch wenn im Detail noch einiges geregelt werden muss. Zum Beispiel das Prinzip der Vorhaltepauschalen, die Zahl und Definition der Leistungsgruppen und die Verteilung des Transformationsfonds. 80 Prozent der Kliniken werden vermutlich in diesem Jahr rote Zahlen schreiben. Bevor es zu einem ungeregelten Kliniksterben kommt, ist es jetzt Aufgabe der Länder, ausgerichtet auf die verschiedenen Bedingungen der Regionen die Krankenhausreform umzusetzen, um die Versorgung der Menschen zu sichern. Insgesamt muss gelten: Qualität vor Quantität! Auch die Ambulantisierung muss vorangetrieben werden, möglichst in Zusammenarbeit mit der niedergelassenen Ärzteschaft und den KVen. Falls dies nicht möglich ist, auch mit Ermächtigung der Kliniken ambulante Leistungen zu übernehmen. Bei alldem ist wichtig, dass die Kliniken Planungssicherheit bekommen. 

Es gibt keine Reform, die nicht noch verbessert werden kann. 

Prof. Scholz: Die Krankenhausreform soll vor allem die Qualität in der Medizin verbessern. Dazu ist eine gestufte Versorgung nötig. Die Verordnungen um Leistungsgruppen und Mindestvorhaltezahlen sind noch ausstehend. Es gibt keine Reform, die nicht noch verbessert werden kann. Bereits auf den Weg gekommen ist der Transformationsfonds, bei dem die Universitätsklinika bisher kaum förderfähig sind. Das muss sich ändern, denn es entspricht nicht der Idee der Reform, vor allem, wenn es um Konzentration und Aufbau von Netzwerken geht und um die wichtige Koordination dieses Transformationsprozesses. Bei den Vorhaltepauschalen könnte man den weiten Korridor von 20 Prozent korrigieren. Wenn Kliniken in ihrer Leistung auf 81 Prozent fallen, bekommen sie die gleiche 100 Prozent Pauschale, wie Kliniken, die 119 Prozent erbringen. Das ist absurd. Insgesamt sind wir jedoch dafür, dass es jetzt endlich mal losgeht mit der Reform. Ausnahmeregelungen dürfen nur mit Bedacht und Augenmaß erfolgen, keinesfalls sollten dadurch die eigentlichen Ziele der Krankenhausreform aus dem Blick geraten.

Welche Anforderungen an den Arztberuf von morgen gibt es? Bleibt zwischen Dauerfortbildung und Managementaufgaben auch Platz für die Medizin?

Dr. Hauth: Die Rolle der Ärzte wird sich fundamental ändern. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, sehr aufgeklärte Patienten, multiprofessionelle Teams mit hochqualifizierten anderen Berufsgruppen werden zu anderen ärztlichen Aufgabenprofilen führen. Bisher von Ärzten übernommene Aufgaben werden die Künstliche Intelligenz und andere Berufsgruppen übernehmen. Ärztinnen und Ärzte werden sich vom Singleentscheider zum Teamplayer entwickeln müssen, inklusive der Übernahme eines anderen Führungsstils in leitenden Funktionen. In Bezug auf die Patienten werden die Ärzte von morgen anderen Kompetenzen haben: sie begleiten, erklären, haben Empathie und Kommunikationsfähigkeit. Die Menschlichkeit wird in der zunehmenden digitalen Welt immer wichtiger. 

Die Menschlichkeit wird in der zunehmenden digitalen Welt immer wichtiger. 

Prof. Scholz: Auch das KVVG hat eine unmittelbare Auswirkung auf die Ärzte. Um z. B. die Aufgaben rund um die Facharztweiterbildung besser zu verteilen, werden Weiterbildungsverbünde wichtiger. Auch der Aufwand für Weiterbildung muss besser abgebildet werden. Da darf es nicht länger strukturelle Nachteile für Kliniken geben, die sich in der Weiterbildung engagieren. Außerdem müssen wir in Deutschland nachdenken, ob alle ärztlichen Leistungen unbedingt vom Arzt erbracht werden müssen, zum Beispiel technische Leistungen, wie eine Echokardiografie. Hier sollten zum einen Kompetenzen neu verteilt werden und man muss nicht nur delegieren, sondern auch wirklich substituieren.

Welches sind die Möglichkeiten und Grenzen der KI in der medizinischen Praxis? Wie wird die KI die Kliniken in den nächsten zehn Jahren verändern?

Dr. Hauth: Künstliche Intelligenz wird die Medizin spürbar verändern. Wir haben mit ihr schon heute eine schnellere und präzisere Diagnostik, KI wird zur Verbesserung der personalisierten Medizin führen. Spracherkennung und automatisierte Dokumentation bringen mehr Zeit für die Ärzte. Patientenüberwachung, OP-Planung und Prozesssteuerung können optimiert werden. In der Medikamentenforschung geht die Entwicklung deutlich schneller voran. Grenzen liegen dort, wo es um ärztliches Erfahrungswissen, Einbezug von Kontext und Vertrauen in Arzt-Patientenbeziehungen geht. KI wird die Rolle von Ärzten und Pflegekräften verändern. Dabei benötigen wir ethische Leitplanken, Regeln und Reflexionen der Möglichkeiten und Grenzen der KI. 

Deutschland diskutiert immer zu lange, während die anderen im internationalen Vergleich schon alles anwenden. 

Prof. Scholz: Ärztliches Personal sollte bei Messungen, Anamnese, Medikation weitestgehend irgendwann von der KI ergänzt und auch ersetzt werden. Der Arzt trifft dann immer noch die letzte Entscheidung. Vor allem auch bei Dokumentationspflichten und Bürokratie muss die KI dringend übernehmen – denn Ärzte durch unnötige Doppel-Dokumentation stark beansprucht. Die Einsatzgebiete sind aber noch viel weiter: Roboter übernehmen die Reinigung der Häuser, was zuverlässig und kostengünstig ist. Die Aufnahme der Patienten in die Klinik wird automatisiert. Warum nicht – wie beim Fliegen auch – per App online einchecken? Das alles spart viel Personal. Dazu kommt noch der klinische Bereich, wo die KI-Einsatz findet: zum Beispiel heute schon in der Radiologie (beim Brustkrebs-Screening), Dermatologie und Pathologie (in der Bilderkennung). Die KI bietet 24/7 die gleiche Qualität. Sie unterstützt bei der besseren und schnelleren Diagnose. Auch für die Zweitmeinung kann sie gut eingesetzt werden. Sichere Datenverbindungen und Daten, die stimmen, sind die Voraussetzung. Auch die Grenzen der KI müssen diskutiert werden. Aber Deutschland diskutiert immer zu lange, während die anderen im internationalen Vergleich schon alles anwenden.

Kommen Innovationen derzeit schnell genug ins Gesundheitssystem? Wie kann man bei der Implementierung einiges verbessern?

Dr. Hauth: Aus meiner Sicht geht das definitiv nicht schnell genug. Oft verzögern umständliche Antragsverfahren, Zuständigkeitsfragen, Bürokratie die Implementierung ins Versorgungssystem. Innovationen brauchen klare Strukturen, finanzielle Förderung und den politischen Willen.

Prof. Scholz: Innovationen ins Gesundheitssystem zu bringen dauert in Deutschland extrem lang. Andere haben schon Studien abgeschlossen, da beantragen wir diese noch. Beim Innovationsfond wird ein Antrag gestellt, alle sind begeistert und dann heißt es: zu teuer, ist nur eine Nische oder es gibt keine Start-Ups, die damit beginnen wollen. Zum Glück ist das Gesundheitsdatennutzungsgesetz noch gekommen. Deutschland braucht eine übergreifende Strategie zur Umsetzung und z. B. auch eine nachhaltige Finanzierung der bestehenden Infrastrukturen, wie dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM). Allgemein müssen wir überlegen, wer Innovationen finanziert und wie implementiert, denn sie sind teils teuer.

Was tut sich in der Entwicklung der Telemedizin?

Dr. Hauth: Die Telemedizin hat sich bereits in vielen Bereichen etabliert, zum Beispiel bei Video-Sprechstunden, in der Psychotherapie, Dermatologie, Facharzt-Sprechstunden, bei der MRT-Auswertung oder in Tele-Stroke-Netzwerken, in denen Experten in verschiedensten Regionen zusammenarbeiten. Auch das Telemonitoring einer Herzinsuffizienz ist da ein gutes Beispiel und die vielen digitalen Anwendungen. Derzeit sind bereits über 50 DigA zertifiziert, davon über die Hälfte in der Psychotherapie bei z.B. Angst-, Schlaf- oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Für Patienten bedeutet das: mehr Flexibilität, weniger Wartezeiten, kürzere Wege – gerade in ländlichen Gegenden oder bei eingeschränkter Mobilität. Für Kliniken bietet Telemedizin enorme Chancen. Sie entlastet die Notaufnahmen, ermöglicht eine engmaschige Betreuung nach dem stationären Aufenthalt. Sie kann helfen, dem Fachkräftemangel klug zu begegnen – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung.

Prof. Scholz: Durch Telemedizin kann der Fachkräftemangel ein Stück weit aufgefangen und die Patientenversorgung sichergestellt werden. Wir haben bei uns am UKSH z.B. eine virtuelle Diabetes-Sprechstunde für Kinder, bei der Daten digital übertragen und Kinder und Eltern im Zoom-Meeting beraten werden können. Lange Fahrten zur Klinik entfallen damit. Auch bieten wir Telemedizin für die Inseln Schleswig-Holsteins an und für die Halligen. Ärzte in ländlichen Regionen werden dadurch unterstützt und Patienten schätzen Videosprechstunden seit Corona zunehmend. Auch für Intensivstationen hat sich die Telemedizin bereits etabliert, da wir nicht gleiche Qualität an jedem Ort haben und durch die Demografie zunehmend haben können.

Sind wir im deutschen Gesundheitswesen auf Cyberattacken ausreichend vorbereitet? Welche Maßnahmen sind die wichtigsten? Was erwarten sie hier für die Zukunft? 

Dr. Hauth: Angesichts zunehmender Bedrohung durch Hacker ist ein funktionierender Schutzschirm für die Kliniken äußerst wichtig. Das zeigen nicht nur Beispiele von Vorfällen wie in Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, wo wochenlang die Systeme ausfielen und sogar die Patientenversorgung beeinträchtigt war. Deshalb gilt: Cybersecurity ist Chefsache! Immer weder müssen alle Sicherheitsstufen gecheckt werden: die Vorgaben des BSI, technische Schutzmaßnahmen, Personal-Schulungen, die 2-Faktor-Authntifizierung, das Patch-Management auf Sicherheitslücken, das tägliche Backup sensibler Daten, Recovery-Pläne. Und oft ist es dennoch der Mitarbeiter, der auf Fake-Pishing hereinfällt und sorglos Mails oder Anhänge öffnet. Für den Fall aller Fälle muss eben auch der analoge Betrieb mit Notfallplänen geübt werden. Ob Kriminelle oder politisch Motivierte: Eine Strategie zu haben, falls es passiert, ist überlebenswichtig für die Kliniken. Auch die Medizintechnik in den Krankenhäusern ist sehr gefährdet. Ihre Digitalisierung samt KI ist eine Riesenchance aber auch eine große Gefahr. Wir sind dort besonders verletzbar, wo es um Leben und Tod geht. 

Digitalisierung samt KI ist eine Riesenchance aber auch eine große Gefahr. Wir sind dort besonders verletzbar, wo es um Leben und Tod geht. 

Prof. Scholz: Laut Definition gehören Kliniken mit über 30.000 stationären Fällen jährlich zur kritischen Infrastruktur nach KRITIS-Verordnung. Es gibt viele Maßnahmen, sich zu schützen, aber einen 100-prozentigen Schutz gibt es nicht. Wir haben im Grunde die gleichen Anforderungen wie die Banken, nur: die Finanzierung dafür ist vergessen worden. Angesichts der enormen Herausforderungen, denen Deutschland auch mit einem Sondervermögen begegnen will, müssen die verfügbaren Mittel gezielt auf die entscheidenden Einrichtungen im Krisenfall konzentriert werden. 

Was erwarten Sie vom Hauptstadtkongress?

Dr. Hauth: Für die Teilnehmer des HSK ist der Kongress ein hochkarätiger interdisziplinärer Austausch. Es ist wichtig, die Perspektiven der jeweils anderen Player im Gesundheitswesen zu erkennen und zu verstehen. Es wird neue Impulse geben und auch viele neue Ansätze in unserem Gesundheitssystem. Und die Politik können wir auf die Dinge aufmerksam machen, die dringend angepackt werden müssen.

Prof. Scholz: Es ist der größte Branchenkongress, hier ringen wir um die besten Lösungen, tauschen Argumente aus, nehmen Einfluss auf die Politik. Beschlossen wird alles dann im Parlament. Wir freuen uns auf die vielen interessanten Debatten und spannenden Diskussionen!

Dr. Iris Hauth ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. 26 Jahre lang leitete sie das Alexianer Krankenhause Berlin-Weißensee. Sie war Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und 2015/16 Präsidentin. Neben diversen Ämtern ist sie heute Mitglied des Kuratoriums der Alexianer und Leiterin der „Gesundheitsstadt Berlin“.

Prof. Dr. Jens Scholz ist Anästhesiologe, Hochschullehrer und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). Er ist außerdem 1. Vorsitzender des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands e. V. (VUD).

Quelle: Kathrin Reisinger (freie Journalistin) 2025. Thieme