Interview – Reicht der Vier-Wochen-Test für die ePA, Herr Fuhrmann?

Dr. Florian Fuhrmann ist Vorsitzender der neuen dreiköpfigen Geschäftsführung der Gematik. Im Interview spricht er über Entscheidungsspielräume, das gescheiterte Digitalagentur-Gesetz und die Einführung der elektronischen Patientenakte.

kma: Herr Fuhrmann, die Geschäftsführung der Gematik besteht inzwischen aus drei Geschäftsführern. Warum benötigt eine Quasi-Behörde wie die Gematik ein Führungstrio, noch dazu mit teilweise bislang branchenfremden Akteuren?

Fuhrmann: Die Gematik ist eine GmbH, keine Behörde. Und in einer GmbH ist es gängige Praxis, dass man verschiedene Bereiche nach unterschiedlichen Kompetenzen unter den Geschäftsführern aufteilt.

Mehrheitsgesellschafter ist aber das Bundesgesundheitsministerium (BMG), also der Bund. Und der gibt eindeutig den Takt vor bei der Gematik.

Das macht sie dennoch nicht zu einer Behörde. Die Gematik ist eine GmbH mit mehreren Geschäftsführern, die sich ihre Geschäftsbereiche aufteilen können. Bei einer Organisation wie der Gematik, mit einem solchen Aufgabenspektrum, ist es wichtig, dass man als Geschäftsführer auch tief in die Organisation reinschauen kann. Deshalb sind drei Geschäftsführer sinnvoll, weil wir uns mit unseren jeweiligen Geschäftsbereichen intensiv auseinandersetzen können. Wir bringen unterschiedliche Erfahrungsschätze mit – und ein wichtiger Erfahrungsschatz ist die Perspektive aus anderen Branchen, die mit der Digitalisierung schon einen Schritt weiter sind. Unsere Kollegin Brenya Adjei hat viel Erfahrung in der digitalen Transformation und bringt wichtige Impulse mit ein. Und die Branchenerfahrung ist mit mir und Florian Hartge gut abgedeckt.

Über ihren noch von Jens Spahn berufenen Vorgänger wurde in Branchenkreisen kolportiert, dass sein Verhältnis zum BMG und der Ministeriumsführung unter Prof. Karl Lauterbach nicht immer das einfachste gewesen sein soll. Wie widerspruchsfreudig oder thematisch eigenständig dürfen Sie als GmbH gegenüber dem BMG sein?

In der Gesellschafterversammlung sitzen unterschiedliche Gesellschafter wie z. B. das BMG, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) oder GKV-Spritzenverband und dem Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV). Gegenüber dieser Gesellschafterversammlung sind wir als Geschäftsführer verpflichtet und dort werden natürlich auch die richtungsweisenden Entscheidungen getroffen, denen wir als Geschäftsführer Folge leisten bzw. die wir natürlich auch gemeinsam mitentwickeln. Insofern liegt bei uns die Verantwortung, diese Prozesse zu begleiten und auch zu initiieren. Auf der anderen Seite aber auch einen Ausblick zu geben, was in unseren Augen eine gute Entscheidung wäre.

Durch das Ende der Ampelkoalition droht einigen Gesetzesvorhaben auf der Ziellinie das Aus. Dazu zählt auch das Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG), das nun mit großer Wahrscheinlichkeit nicht kommen wird. Im Gesetzentwurf waren der Gematik weitereichende Befugnisse und Kompetenzen eingeräumt worden. Welche Auswirkungen hat das Scheitern des Gesetzes auf ihre weitere Arbeit?  

Auch ohne das Gesetz sind wir vollkommen handlungsfähig. Wir können weiterhin an den beauftragten Themen arbeiten. Natürlich würde es mit dem GDAG die eine oder andere Nuance geben, die unsere Arbeit vereinfachen würde.

Was meinen Sie damit?

Ich denke zum Beispiel, dass das differenzierte Marktmodell zur Stabilität der Telematikinfrasturktur (TI) beitragen würde. Aber auch ohne dieses können und werden wir intensiv an der Stabilität arbeiten.

Es hat auch keinerlei Auswirkungen auf das im Frühjahr gestartete Zentrum für Interoperabilität?

Nein, da sehe ich keine Auswirkungen.

Die Idee eines differenzierten Marktmodells hat zu scharfer Kritik seitens der Industrie geführt. Die warf dem BMG vor, die Gematik gleichzeitig zum Kontroller und Anbieter für Anwendungen der Telematikinfrastruktur machen zu wollen. Damit würde der Bock zum Gärtner gemacht, hieß es. 

Das war nicht die Intention. Es geht darum, dass bei kritischen Komponenten für die TI die Stabilität eine große Rolle spielt. Statt wie beim aktuellen Marktmodell mit einer unendlichen Zahl an Anbietern zu arbeiten, würden wir das Ausschreibungsmodell auf zwei bis drei Anbieter begrenzen, die für uns diese Komponenten herstellen und die wir eng begleiten würden. Das war der Hintergrund dieser Idee. Es ging nicht darum, dass wir anfangen, selbst Zugangsdienste und eigene Apps zu bauen. 

Zur Person

Dr. Florian Fuhrmann ist seit dem 1. September 2024 Vorsitzender der neuen dreiköpfigen Geschäftsführung der Gematik. Von 2014 bis Ende 2022 baute er im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die kv.digital GmbH auf. Zuletzt war der gelernte Diplom-Kaufmann als Mitgründer von Lillian Care und Geschäftsführer des Telematik-Anbieters Kosyma tätig. Fuhrmann hat an der Universität Greifswald über Krankenhausprozessmanagement promoviert. 

Das aktuelle Großprojekt ist der Rollout der elektronischen Patientenakte (ePA). Zuletzt sorgte ein Schreiben von BMG-Digitalisierungschefin Susanne Ozegowski an die Industrie für Verwirrung. Es wurde derart interpretiert, dass der straffe Zeitplan womöglich nicht zu halten sei. Bleibt es beim bundesweiten Rollout zum 15. Februar?

Am Zeitplan ändert sich nichts. Wir werden im Januar wie geplant mit dem schrittweisen Rollout der elektronischen Patientenakte starten. Zunächst werden die Akten für rund 70 Millionen Versicherte angelegt. Das machen die Systemhersteller und die Krankenkassen gemeinsam. Mit den Primärsystemen starten wir am 15. Januar, zunächst vorwiegend in den Modellregionen Franken, Hamburg und Umgebung sowie Nordrhein-Westfalen. Wir werden dann in den Modellregionen in einer ca. vier-wöchigen Testphase pilotieren und Erfahrungen sammeln. Wie verhält sich die ePA im Realbetrieb in den Praxen und Krankenhäusern, wie sind die Interdependenzen zu anderen Anwendungen und vieles weitere mehr. Sobald diese Testphase erfolgreich verlaufen ist, startet der bundesweite Rollout (siehe Kasten: „In eigener Sache“).

Wenn die ePA startet, erwarten viele Startschwierigkeiten wie bei der Einführung des E-Rezeptes. Ist die Testphase von vier Wochen angesichts eines derartigen Mammutprojektes ausreichend?

Die ePA ist das größte IT-Projekt im deutschen Gesundheitswesen, wenn nicht sogar im europäischen Gesundheitswesen. Wir legen 70 Millionen Akten innerhalb weniger Wochen an und vernetzen knapp 100 000 Praxen, knapp 2000 Krankenhäuser und mehr als 17 000 Apotheken. Wir haben 96 verschiedene Krankenkassen mit unterschiedlichen Apps und letztendlich hunderte Millionen Endgeräte. Das Zusammenspiel ist entsprechend komplex. Die Vorbereitungen dafür laufen sehr professionell – und wirklich alle ziehen an einem Strang und haben das gemeinsame Ziel vor Augen. 

Ich bin optimistisch, dass der Start der ePA klappen wird und sie vor allem durch ihre Vorteile im Versorgungsalltag überzeugen wird. 

Nochmal nachgehakt: Werden die vier Wochen in den Modellregionen dafür tatsächlich ausreichen?  

Ich bin optimistisch, dass der Start der ePA klappen wird und sie vor allem durch ihre Vorteile im Versorgungsalltag überzeugen wird. Natürlich kann ich nicht ausschließen, dass es zum Start einzelne Herausforderungen geben wird. Die ePA ist immerhin ein hochkomplexes Projekt mit vielen Komponenten. Dafür haben wir die Modellregionen, in denen die ePA ausgiebig getestet wird. Wir gehen davon aus, dass diese Zeit uns schon sehr viele Erkenntnisse bringen wird und wir danach entscheiden können. Auf Basis der Ergebnisse in den Modellregionen werden wir mit dem BMG schauen, ob es direkt zum bundesweiten Rollout kommt oder ob wir noch ein paar Tage länger brauchen.

Haben Sie aus den Problemen bei der Einführung des E-Rezeptes gelernt?

Die Erfahrungen aus der Einführung des E-Rezepts haben wir natürlich in die Planung und in die Testphase der ePA mit einfließen lassen. Unser Ziel ist, dass das Zusammenspiel reibungslos läuft. Daran arbeiten wir mit allen Partnern und Beteiligten sehr intensiv.

In einer aktuellen Umfrage des Deutschen Krankenhausinstitutes haben rund die Hälfte der teilnehmenden knapp 500 Krankenhäuser geäußert, bis zum Startpunkt der Verfügungsstellung der Komponenten wenig oder gar nicht auf die ePA vorbereitet gewesen zu sein. Beunruhigt sie das nicht so kurz vor dem offiziellen Start?

Wir haben immerhin die Hälfte der Krankenhäuser, die sich schon ready fühlt. Das ist kein schlechtes Ergebnis, auch wenn ich mir natürlich mehr gewünscht hätte. Noch ist aber Zeit, um die Leistungserbringer weiter zu informieren und offene Fragen zu klären. Es ist nicht so, dass bereits irgendwelche Fristen gerissen werden. Wir begleiten die Softwarehersteller eng und die Softwarehersteller ihrerseits ihre Kunden. Insofern gehe ich fest davon aus, dass für den Start auch alle bereit sein werden.

Es gibt Krankenhäuser, vor allem Unikliniken oder aber große Träger, die bereits eine eigene ePA nutzen. Sie erwarten Probleme in der Übergangsphase, weil sie noch bis zum 15. Januar mit der eigenen ePA arbeiten müssen, aber am Stichtag 15. Januar nicht einfach sofort umswitchen können. Hat die Gematik das auf dem Schirm? 

Wir haben das auf dem Schirm; es kann hier tatsächlich zu einem begrenzten Zeitraum ohne eine ePA kommen. Wir sind aber optimistisch, dass gerade die Kliniken, die bereits eine ePA ausgerollt haben, hier auch schon weit in der internen Vorbereitung für den Start der ePA 3.0 sind.

Die Krankenkassen registrierten bis Anfang Dezember geringe Widerspruchsquoten gegen die neue ePA im einstelligen Prozentbereich. Noch verfügen Patienten allerdings über keinerlei eigene Praxiserfahrung. Rechnen Sie damit, dass die Opt-out-Quote mit dem Rollout noch steigen wird?

Die meisten Krankenkassen haben ihre Versicherten inzwischen angeschrieben, daher rechne ich nicht mit einer viel höheren Widerspruchs-Quote. Gerade in der Nutzung wird die ePA ja überzeugen! Bislang sind die Patienten es gewohnt, dass sie jedes Mal, wenn sie zu einem neuen Arzt gehen, ihre ganze Krankheitsgeschichte wiederholen müssen. Mit der ePA ist das nicht mehr notwendig, zugleich verbessert sich dadurch die medizinische Versorgung. Als Versicherter habe ich auch einen viel besseren Überblick über meine eigenen Daten, die letztlich mir gehören.  

Die Akzeptanz der ePA wird auch stark von Datenschutz und Datensicherheit abhängen. Wie sicher wird sie beim Start sein?

Wir haben Lösungen entwickelt, mit denen wir den Datenschutz gewährleisten und gleichzeitig eine funktional sinnvolle Akte für die Versorgung anbieten. Zudem haben wir das Konzept und die Architektur der ePA mit den obersten Sicherheitsbehörden des Landes abgeglichen und arbeiten mit Sicherheitsforschern zusammen. Wir schützen die ePA bestmöglich und gehen hier schon wesentlich weiter als unsere europäischen Partner. 

In eigener SacheDas Interview mit Florian Fuhrmann wurde vor Weihnachten 2024 geführt.

Am 27. Dezember 2024 berichteten IT-Experten auf dem 38. Kongress des Chaos Computer Clubs (CCC) in Hamburg über Schlupflöcher beim Zugriff auf die ePA. Sie formulierten deutliche Zweifel an deren Sicherheit und dem Schutz der Patientendaten vor Hackerangriffen. Wir haben die Entwicklungen zur Sicherheit der ePA in einem weiteren Artikel genauer unter die Lupe genommen.

Quelle. Guntram Doelfs und Michael Lang (Freier Journalist) 2025. Thieme