Das Bundeskabinett hat heute den Gesetzentwurf „zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus sowie zur Anpassung weiterer Regelungen im Krankenhauswesen und in der Digitalisierung“ (Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, KHPflEG) beschlossen. Dieser beinhaltet auch Regeln zur Krankenhausfinanzierung. Deutliche Kritik folgte prompt.
Für Kliniken sollen neue verpflichtende Vorgaben für eine bessere Besetzung mit Pflegekräften kommen. Darauf zielen Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die das Kabinett am heutigen Mittwoch auf den Weg gebracht hat. Konkret soll eine Methode zur Personalbemessung auf den Stationen eingeführt und ab 2025 vorgeschrieben werden. Eine angemessene Personalausstattung sei essenziell für die Qualität der Patientenversorgung und auch für die Arbeitssituation der Pflegekräfte, sagte Lauterbach. Pflegekräfte seien extrem belastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Nur wer sie gut bezahlt, Überstunden ausgleicht, ihre Stationen gut besetzt, wird am Arbeitsmarkt Pflegekräfte halten oder neue gewinnen.“
Der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf kommt nun in Bundestag und Bundesrat. Krankenhäuser sollen damit verpflichtet werden, mit einer ausreichenden Zahl von Pflegekräften zu arbeiten, wie das Ministerium erläuterte. Um die Situation mittelfristig zu verbessern, sollen „Idealbesetzungen“ für Stationen errechnet und durchgesetzt werden. Hierfür soll ein Instrument zur Pflegepersonalbemessung (PPR 2.0) zum Einsatz kommen, das im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege von allen Beteiligten entwickelt wurde.
Personalbemessung im Krankenhaus
Ab 1. Januar 2023 solle die Erprobungsphase starten, heißt es beim Bundesgesundheitsministerium (BMG). Dabei werde die PPR 2.0 dem Praxistest unterzogen. Die Testphase erfolge in einer repräsentativen Auswahl von Krankenhäusern in Normalstationen und in der Pädiatrie. Auf dieser Basis sollen den Krankenhäusern dann in einer Rechtsverordnung Vorgaben für die Personalbemessung gemacht werden. Verfügt ein Krankenhaus über einen Entlastungstarifvertrag mit verbindlichen Vorgaben zur Mindestpersonalbesetzung auf bettenführenden Stationen, könne von einer Anwendung der PPR 2.0 abgesehen werden, so das BMG. Ab 2025 werde die Personalbemessung dann scharf gestellt und sanktioniert.
Weitere Regelungen für den Krankenhausbereich
Darüber hinaus geht der Gesetzentwurf auch auf die Budgetverhandlungen ein. Sie sollen beschleunigt werden. Dazu sollen insbesondere Fristen für verschiedene Verfahrensschritte und ein automatisches Tätigwerden der Schiedsstelle vorgegeben werden, erklärt das BMG. Mit dem Gesetzentwurf würden Verwaltungsvereinfachungen hinsichtlich des Verfahrens der Krankenhausabrechnungsprüfung vorgenommen, und die Strukturprüfung bei Krankenhäusern durch die Medizinischen Dienste werde weiterentwickelt. Weiterhin werde das Verfahren zur Übermittlung von Daten der Krankenhäuser an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), auf deren Grundlage jährlich die Entgeltkataloge kalkuliert werden, ausgebaut. Zudem solle die Evaluierung des Krankenhauszukunftsfonds angepasst und weiterentwickelt werden.
Digitale Gesundheitsversorgung
Außerdem, so das Ministerium, werde die digitale medizinische und pflegerische Versorgung weiterentwickelt und nachgesteuert. Dabei solle es insbesondere darum gehen, die Nutzerfreundlichkeit von digitalen Anwendungen zu stärken und die Verbreitung zentraler Anwendungen der Telematikinfrastruktur zu erhöhen. Dazu zählten zum Beispiel Regelungen zur Nutzung von Verordnungsdaten im Versorgungsprozess oder zur Ermöglichung einfacher Identifizierungsverfahren in den Apotheken.
VUD: „Nur kleinteilige Reparaturen“
Der KHPflEG-Beschluss sorgte schnell für Kritik. Für Prof. Jens Scholz, Vorsitzender der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), enthält der Entwurf „einen bunten Strauß an Maßnahmen, aber keine langfristigen Lösungen für die Probleme des Gesundheitssystems“. Mit kleinteiligen Maßnahmen für einzelne Probleme werde das Krankenhaussystem langfristig nicht gerettet. „Wir müssen ganzheitlich denken und Strukturen verändern. Wir brauchen jetzt eine Krankenhausreform mit einer auf Versorgungsstufen aufbauenden Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung“, fordert Scholz.
Die Dokumentationspflichten werden immer aufwendiger und binden Personal, das für die Versorgung der Patienten dringend benötigt wird.
Aus Sicht der Universitätsklinika werden die geplante Pflegepersonalbedarfsbemessung mittels PPR 2.0 und die neuen Regelungen in den Budgetverhandlungen weder die Patientenversorgung verbessern noch den Mangel an Pflegekräften beheben. „Wenn dann auch noch die Finanzierung der Pflege im Krankenhaus nur im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister erfolgen kann, wird eine Pflegepersonalbedarfsbemessung ad absurdum geführt“, sagt Scholz. Dazu sollten die kurzfristigen Reparaturen im System auch noch durch Fristen und Sanktionen zu Lasten der Krankenhäuser durchgesetzt werden. All das lehnten die Universitätsklinika ab.
„Mit der PPR 2.0 wird lediglich der bekannte Fachkräftemangel dokumentiert, aber kein zusätzliches Personal gewonnen“, kritisiert VUD-Generalsekretär Jens Bussmann: „Die Dokumentationspflichten werden immer aufwendiger und binden Personal, das für die Versorgung der Patienten dringend benötigt wird.“ Hinzu komme, dass die Budgetabschlüsse, die mit den geplanten Maßnahmen eigentlich beschleunigt werden sollten, durch diese eher noch komplexer würden: „Der Gang zur Schiedsstelle wird so zur Normalität. Damit ist niemandem geholfen.“
kkvd: „Fatales Zeichen für das Pflegepersonal“
Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands Deutschlands (kkvd), klagt, die Bundesregierung wolle die Pflegepersonalregelung (PPR 2.0), „anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, nun offenbar nur noch bruchstückhaft umsetzen“. Das im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege entwickelte Konzept der PPR 2.0 sehe vor, den Pflegebedarf vor Ort zu ermitteln, den Personalbedarf davon abzuleiten und das bedarfsnotwendige Personal vollständig zu finanzieren. Der im Gesetzentwurf vorgesehene Finanzierungsvorbehalt durch das Bundesfinanzministerium sei ein fatales Zeichen für das Pflegepersonal, aber auch für die Patientinnen und Patienten: „Eine Pflege nach Kassenlage ist ein Angriff auf unser Solidarsystem. Die Menschen müssen auf eine Pflege vertrauen können, die sich nach ihrem Bedarf und nicht am guten Willen eines Bundesfinanzministers ausrichtet.“
Rümmelin kritisierte ebenfalls, dass Krankenhäuser aus der Bemessungssystematik herausgenommen werden können, wenn dort ein Tarifvertrag gilt. „Diese Herausnahme schafft einen Flickenteppich und gefährdet die flächendeckende Umsetzung der Pflegepersonalregelung. Tarifverträge, die Personalvorgaben festlegen, ohne den Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten zu ermitteln, sind ungeeignet, die Patientensicherheit zu erhöhen“, kritisiert die kkvd-Geschäftsführerin.
IKK: „PPR 2.0 geht in die falsche Richtung“
Für die Innungskrankenkassen (IKK) geht die Einführung der PPR 2.0 in die falsche Richtung, wie IKK-Geschäftsführer Jürgen Hohnl betont: „Es wird ein enormes Maß an zusätzlicher Bürokratie geschaffen.“ Zudem seien Intensivmedizin, Pädiatrie, Notaufnahme und auch der Nachtdienst nicht geregelt, klagt Hohnl, und die Mehrausgaben für die finanziell angeschlagene GKV ließen sich nicht kalkulieren. „Wieso“, fragt Hohnl, „gibt das Bundesgesundheitsministerium nicht die zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband geeinte Leistungsbeschreibung zur Entwicklung eines modernen Pflegebedarfsbemessungsinstruments frei?“
AOK: „Es muss dringend nachgebessert werden“
Der Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, fehlen im Kabinettsentwurf „weiter pragmatische Ansätze, wie die aktuell bestehenden Blockaden bei den Verhandlungen zwischen Kliniken und Kassen über die Pflegebudgets aufgelöst werden können“. Vorschläge der AOK für mehr Transparenz und weniger Komplexität der Verhandlungen seien nicht berücksichtigt worden. Hier müsse dringend nachgebessert werden, denn das Problem habe ein enormes Ausmaß erreicht.
„In den kommenden zwölf Monaten müssen noch etwa 4500 Vereinbarungen mit einem Volumen von 50 bis 60 Milliarden Euro im Pflegebudget vereinbart werden“, sagt Reimann: „Die an sich zu begrüßende Verlängerung des Zeitraums für den Abbau des Verhandlungsstaus von Mitte 2023 auf Mitte 2024, die in der Kabinettsfassung vorgesehen ist, droht zu verpuffen.“ Sie reiche bei weitem nicht aus, um ein Verhandlungschaos auf der Ortsebene zu verhindern. Zusätzlich würden dringend Maßnahmen zur Reduktion der Komplexität der Verhandlungen gebraucht.
Gerade angesichts der prekären Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung fordere die AOK außerdem eine gesetzliche Klarstellung, „dass Kliniken ihre Forderungen bezüglich der Pflegebudgets nicht einfach auf Basis von Wirtschaftsprüfer-Testaten in die Schiedsstellen durchreichen können“. Zu diesem Punkt fehle im Kabinettsentwurf eine Klarstellung. Nach AOK-Schätzungen könne das zu Mehrausgaben in Höhe von fünf bis sechs Milliarden Euro für die gesetzlichen Krankenkassen führen.
Quelle: dpa/BMG/AOK/IKK/VUD/kkvd