Klinikmanagement für die Zukunft – „Es ist viel Kreativität gefragt“

David-Ruben Thies will Denkanstöße geben und das Gesundheitswesen so schnell wie möglich erneuern. Wie der Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg für mehr Mitarbeiterzufriedenheit sorgte und welche Pläne er für die Zukunft hat, erzählt er im Gespräch.

Sie wurden einmal damit zitiert, dass die Kliniken das Problem des Fachkräftemangels selbst zu verantworten hätten. Was muss aus Ihrer Sicht in Krankenhäusern anders laufen, um die Situation zu entspannen?

Man muss als Erstes erkennen, dass es überhaupt ein Problem gibt. Ich habe den Eindruck, viele haben das noch nicht für sich erkannt. Das heißt nicht nur, dass man vielleicht heute ein Problem hat, freie Stellen zu besetzen. Der Super-GAU kommt ja erst in fünf, sieben Jahren. Mit Blick auf die Generation der Babyboomer muss man auf die eigene Personalsituation im Haus gucken und sich fragen: Wann wird mich dieses Problem betreffen? Wann wird mich welche Anzahl an Mitarbeitern voraussichtlich verlassen – und zwar nicht aufgrund der Arbeitsbedingungen, son­dern rentenbedingt? Das Thema ist schon seit zehn Jahren bekannt. Spätestens jetzt muss man als Krankenhausgeschäfts­führer aber aufwachen und sich fragen: Wie kann ich erstens die Fachkräfte, die ich habe, an mich binden und zweitens die hohe Zahl an Personen, die bald in Rente gehen werden, ersetzen? Da ist viel Kreativität gefragt.

Innovative Ansätze sind also in Zukunft in Kliniken unabdingbar, um sich dem Fachkräftemangel zu stellen. Aber braucht es auch den Blick über den Tellerrand? Sie sind zum Beispiel in andere Länder gereist und haben sich angeguckt, was diese anders machen als Deutschland.

Ja, ich habe nicht nur in andere Länder, das müssen gar nicht immer nur hoch­ entwickelte Länder sein, sondern auch in andere Branchen geschaut. Man kann sehr viel daraus lernen. Zum Beispiel bei der Frage: Warum muss ein Krankennhaus in Deutschland um sechs Uhr in der Früh starten? Ich war vor ein paar Jahren in Vietnam und dort beginnen sie ihre Frühschicht um acht Uhr. Weil die Men­schen nicht schon um fünf Uhr morgens aufstehen möchten. Manchmal ist es so schlicht, Menschen glücklich zu machen. 

Es ist nicht immer nur eine Geldfrage, sondern manchmal ist es eher eine Haltungsfrage: Ist man mutig genug, diese neuen Wege zu gehen? 

Und jetzt starten Ihre Mitarbeiter in den Waldkliniken um acht Uhr morgens? 

Nein, soweit sind wir noch nicht. Es gibt diesen Kulturclash zwischen den Mit­arbeitern aus verschiedenen Generati­onen, die entweder für Tradition oder Innovation sind. Die einen möchten gern später anfangen zu arbeiten, die anderen wollen es wie gehabt früh fortsetzen. Dieser Übergang von Bewährtem hin zu etwas Neuem ist schwierig. Es kann also keine Blaupause für alle geben, sondern wir werden verschiedene Modelle ein­führen. Das wiederum macht es wieder komplexer für die Personalabteilung, für die Führungskräfte, als wenn es für alle nur ein Modell geben würde. Das gemeinsam mit den Betriebsräten und Gewerkschaften abzustimmen und in Tarifverträgen zu vereinbaren, ist eine Herausforderung. Die Bereitschaft dazu ist aber vorhanden. Wir verhandeln aktuell einen Haustarifvertrag, der viele neue Elemente beinhalten wird. Interessant ist, dass dies alles verhältnismäßig gar nicht so viel mehr Geld kosten wird. Es ist nicht immer nur eine Geldfrage, sondern manchmal eher eine Haltungsfrage: Ist man mutig genug, diese neuen Wege zu gehen?

Sie haben in den Niederlanden viel für Ihr eigenes Haus gelernt. Was haben Sie übernommen und warum?

Das klingt erst einmal hart, aber wir haben einen sogenannten Jahresproduktionsplan aufgesetzt. Dafür haben wir uns die letz­ten zehn Jahre angeschaut – an welchem Tag wurde welche Diagnose gestellt, wie wurde diese behandelt und welche Men­schen mit welcher Qualifikation wurden dafür tatsächlich benötigt? Wir haben festgestellt, dass die Zahlen beispielsweise für elektive oder nicht-elektive Eingriffe über den Zeitraum der vergangenen zehn Jahre, aber auch im Vergleich der einzelnen Jahre zueinander, kontinuierlich waren und dies wohl aller Voraussicht auch im kommenden Jahr sein werden. Somit sind wir in der Lage, einen Jahresproduktionsplan zu erstellen und abzuschätzen, wann welche Eingriffe stattfinden könnten. Da­raus wiederum wird ein Ressourcen­- und Kapazitätsplan erstellt – zu bestimmten Zeiträumen werden Menschen mit be­stimmter Qualifikation gebraucht. Über alle Berufsgruppen hinweg können sich dann alle selbst in die Pläne eintragen, über ein ganzes Jahr hinweg. 

Wenn ich Fachkräfte nur einsetze, wenn ich sie wirklich benötige, schaffe ich mit derselben Anzahl von Köpfen eine Entspannung, ohne Arbeitsspitzen, ohne Burnout-Situationen. 

Wie genau hilft das beim Bewältigen des Fachkräftemangels?

Es hilft dabei, die Gesetzmäßigkeiten zu verstehen und nicht mehr Fachkräfte zu Uhrzeiten zu disponieren, wo sie eigentlich gar nicht gebraucht werden. Nehmen wir das Beispiel Notaufnahmen. Die meisten Patienten und Besucher kommen viel­leicht in einem Zeitraum von zehn bis 16 Uhr. Aber regelmäßig lassen wir die volle Personalschicht um sechs Uhr beginnen und bis 20 Uhr laufen. Wir lassen Perso­nal zu Zeiten arbeiten, wo es überflüssig ist. Wenn später Patienten kommen, ist dann aber nicht ausreichend Personal da und wir bringen das vorhandene in die­sen Stunden regelrecht in den Burnout.

Wenn ich Fachkräfte nur dann einsetze, wenn ich sie wirklich benötige, schaffe ich mit derselben Anzahl von Köpfen eine Entspannung, ohne Arbeitsspitzen, ohne Burnout-Situationen. Dann könnte man jetzt entweder das freigewordene Personal entlassen und die Rendite erhöhen. Oder, wie es an den Waldkliniken Eisenberg der Fall ist, den Pflege-, Therapeuten- und Arztschlüssel zum Nutzen der Patienten erhöhen. Damit schaffen wir eine höhere Zufriedenheit. Wir hatten schon einen Pflegeschlüssel von 1:8, da lag er bun­desweit noch bei 1:14. Und das haben wir nur mit zentralem Ressourcen­ und Kapazitätsmanagement geschafft.

Zur Person

Das Motto von David-Ruben Thies lautet „neu denken, neue Wege gehen – gemeinsam“. Mit diesem Anspruch will der Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg noch viel erreichen und die orthopädische Fachklinik in Thüringen zum Krankenhaus der Zukunft gestalten, als Team mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bevor er sein Diplom zum Krankenhausbetriebswirt absolvierte, lernte er das Gesundheitswesen als Pfleger in München kennen. Acht Jahre war er zudem Gewerkschafter. 2008 wechselte er schließlich als Geschäftsführer nach Thüringen. „New Work in der Medizin: Wie uns die Utopie gelingen kann!“ heißt das Buch, bei dem Thies als Co-Autor mitgewirkt hat.

Wie kommt Ihr Pflegekonzept denn bei den Beschäftigten an?

In unseren Pflege-Units haben wir eine feste Zuordnung. Pflegekräfte sind nur für ihre acht Patienten verantwortlich und jederzeit für sie ansprechbar, sie haben weniger Dokumentationsaufwand durch digitale Helferlein – das heißt, man wird wieder zurückgeführt in seine Berufung. Das hat sich in der Region herumgespro­chen und hat uns als Arbeitgeber attraktiv gemacht. Nach und nach kamen immer mehr Pflegekräfte, die gern bei uns arbei­ten wollten. Zusätzlich arbeiten wir nur noch mit examinierten Arbeitskräften, nicht mehr mit Pflegehelfern – auch da gehen wir gegen den Trend.

Sie setzen bei Ihrer Strategie vor allem auf langfristige Mitarbeiterbindung, wollen zum Beispiel über verschiedene Zeitarbeitsmodelle für neue Generationen von Fachkräften attraktiver werden. Warum halten Sie das für einen entscheidenden Faktor?

Warum schreibt mir ein Allgemeiner Tarif­vertrag eine maximale Wochenarbeitszeit vor? Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Menschen immer mehr für sich selbst entscheiden wollen. Warum kann ich mir meine Arbeitszeit nicht spontan selbst gestalten? Ich habe zum Beispiel eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnaus­gleich, kann aber freiwillig entscheiden, ob ich zeitlich befristet auf 42 oder 48 Stunden pro Woche aufstocken möchte – weil ich vielleicht gerade mehr Geld brauche oder weil ich Zeit für mein Lebens­zeitkonto ansparen möchte.

Oder auch das Stichwort Vier-­Tage­-Woche. Wenn ich statt der im Durchschnitt achteinhalb Stunden pro Tag eben durchschnittlich neuneinhalb Stunden arbeite, wäre das realisierbar. Vielleicht ist das für einige Mitarbeiter attraktiver als bisherige Ar­beitszeitmodelle. Oder auch Homeoffice für Pflegekräfte. Das hört sich erst einmal komisch an, und die erste Reaktion darauf ist oft: Das geht nicht, Pflege muss am Patienten sein. Aber auch da ist einiges möglich. All diese Modelle sind heutzutage langfristig überzeugender als kurzfristige Incentives.

Welche Wirkung haben all die Maßnahmen, die Sie bereits durchgeführt haben?

Wir können sagen, dass der Klinikbetrieb besser läuft, als vor den Veränderungen. Das erfassen wir in Mitarbeiterbefragun­gen. Wir haben erheblich mehr Bewerbun­gen, wir kriegen die Stellen besser und kurzfristiger besetzt, mittlerweile sogar überregional. Die Zufriedenheit steigt. Wir merken es auch insbesondere an der Patientenzufriedenheit, die ja letztlich der Spiegel dessen ist, was unsere Mitarbei­ter hier tun. Und da sind wir bundesweit führend.

Quelle: Aileen Hohnstein 2023. Thieme