Alexander Schmidtke saniert den hochdefizitären Klinikverbund Südwest. Es wird viel gebaut und verändert, und er will 60 Millionen Euro Wirtschaftlichkeitspotenzial heben. kma hat mit ihm über den harten Weg zur schwarzen Null gesprochen.
Alexander Schmidtke will mit dem KVSW im Jahr 2030 die schwarze Null erreichen.
Es ist gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten. Die Baustellen sind überall. Sechs Standorte hat der Klinikverbund Südwest (KVSW), der sich in Trägerschaft der Landkreise Böblingen und Calw befindet. An jedem wird gebaut, in unterschiedlicher Dimension. Insgesamt geht es um Investitionen von mehr als 1,3 Milliarden Euro. Ein gewaltiges Projekt, das damit republikweit zu den ganz besonders großen zählt.
Und dann ist da die vielleicht noch viel wichtigere Baustelle: der Verlust von ebenfalls gewaltigen 56,4 Millionen Euro, die der KVSW-Jahresabschluss 2024 ausweist. Alexander Schmidtke ist der, der alles richten soll – und will. Das nötige Selbstbewusstsein und die Ăśberzeugungskraft hat er.Â
Es ist eine sehr komplexe Unternehmensplanung.Â
Der 60-Jährige leitet den Verbund seit Ende 2022. Als er als Geschäftsführer antrat, drückte den KVSW ein Defizit von rund 54 Millionen Euro, und Schmidtke hat relativ schnell das Ziel der schwarzen Null ausgegeben. Im Jahr 2030 soll sie erreicht sein.
Der Abschluss für 2024 zeige, dass sich schon viel getan habe, sagt er: „In den Jahren 2023, 2024 und 2025 haben wir ein Wirtschaftlichkeitspotenzial von insgesamt 35 Millionen Euro gehoben und unser Defizit dadurch auf einem hohen Niveau konsolidiert.“ Mit Blick auf 2025 sehe der Wirtschaftsplan noch eine Lücke von 62 Millionen Euro vor – „und wir stehen momentan bei knapp 52 Millionen Euro, also etwa zehn Millionen besser als der Plan und vier bis fünf Millionen besser als das Jahresergebnis 2024“.
Weit ĂĽber 100 MaĂźnahmen, davon 20 GroĂźprojekte
Damit die politischen Entscheider in den zwei geldgebenden Landkreisen die Fortschritte möglichst schnell noch deutlicher sehen, soll es genau so weitergehen. In den Plänen für die nächsten Jahre sind jeweils weitere sechs bis sieben Millionen Euro an gehobenem Wirtschaftlichkeitspotenzial vorgesehen. „Es ist eine sehr komplexe Unternehmensplanung“, sagt Schmidtke.
Die wirtschaftlichen Ziele seien mit entsprechenden Maßnahmen und Projekten unterlegt. Weit über 100 Maßnahmen seien das, davon 20 bis 25 Großprojekte. Und eben auch all die Neubauten, Generalsanierungen und Modernisierungen an allen Standorten des KVSW, für die die zwei Träger mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg die besagten rund 1,3 Milliarden Euro investieren. Das alles auszutarieren und immer wieder nachzusteuern, sei seine Hauptaufgabe.
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Dafür hat Schmidtke in den vergangenen zwei Jahren die Basis gelegt. Als ein wesentlicher Faktor ist nach seinem Start innerhalb eines Jahres die Medizinkonzeption 2030 entstanden. Seitdem ist allen klar, dass es Konzentrationsprozesse innerhalb der Häuser geben muss, um insbesondere Doppelvorhaltungen abzubauen, die Qualität zu sichern und die Wirtschaftlichkeit zu verbessern.
Mitte vergangenen Jahres folgte die Fusion der bis dahin noch getrennten Klinikgesellschaften der Landkreise mit der KVSW-Holding, rĂĽckwirkend zum 1. Januar 2024. Dass es jetzt statt der Holdingstruktur nur noch eine fusionierte Gesellschaft gibt, hat vieles vereinfacht. Insbesondere gibt es so nur noch einen Aufsichtsrat, bis dahin waren es drei. Schlanke Strukturen und schnellere Entscheidungswege sind die Folge.
„Handverlesenes“ Managementteam
„Wir können in einem Aufsichtsrat alle satzungsrelevanten Themen besprechen und das dann im operativen Geschäft direkt umsetzen“, sagt Schmidtke: „Das ist ein großer Vorteil aus meiner Sicht.“ Heute stehen in den Entscheidungsgremien nicht mehr die Standortinteressen im Fokus, sondern Schmidtke kann wirklich das regionale Medizinkonzept umsetzen – über die Landkreisgrenzen hinaus.
Mit den begonnenen Konzentrationsprozessen und dem Wegfall von Doppelvorhaltungen folge die Wirtschaftlichkeit automatisch, ist der KVSW-Chef ĂĽberzeugt: „Die entsprechenden Effekte kommen exponentiell etwas später.“ Neben der Medizinkonzeption und der Fusion wurde ein Ergebnisverbesserungsprogramm aufgestellt, das Potenziale in Höhe von 60 Millionen Euro aufzeigt.Â
Man braucht eine gewisse Frustrationstoleranz – und man braucht Geduld.Â
Das Managementteam, das das alles jetzt umsetzt, hat sich Schmidtke überwiegend neu zusammengestellt und in den vergangenen zweieinhalb Jahren geformt – „handverlesen“, wie er sagt. Es gab Wechsel auf der Ebene der Krankenhausdirektionen und auf Schlüsselpositionen der Ressorts – „weil natürlich die Frage des Mindsets eine entsprechende Rolle spielt“, sagt Schmidtke: „Die Erwartungen an mich als Geschäftsführer kann ich nicht als One-Man-Show erreichen.“
Im Januar hat er dann noch einmal grundlegend umgebaut. Seitdem ist das Prinzip der Regionaldirektionen, die bis dahin jeweils fĂĽr zwei Häuser zuständig waren, Vergangenheit. Jetzt hat der Verbund an allen Standorten Krankenhausdirektoren. „Wir brauchen wirklich in jedem Haus eine Leitung, die sich 24/7 mit dem Standort identifiziert und präsent ist.“ Es gehe darum, sich um die UmstrukturierungsmaĂźnahmen vor Ort zu kĂĽmmern, gemeinsam FĂĽhrungsarbeit zu leisten, die Beschäftigten mitzunehmen und das Tagesgeschäft zu managen.Â
Im Klinikverbund SĂĽdwest sind seit dem Jahr 2006 die Krankenhäuser Böblingen, Sindelfingen, Leonberg, Herrenberg, Calw und Nagold zusammengeschlossen. Der Landkreis Böblingen, in dem vier der Standorte liegen, hält 74,9 Prozent am KVSW, der Landkreis Calw 25,1 Prozent. Das Unternehmen hat mehr als 5000 Beschäftigte. In der medizinischen Bilanz werden fĂĽr 2024 etwa 67.000 stationäre Fälle und knapp 260.000 ambulante Kontakte ausgewiesen. Von den fast 33.300 operativen Eingriffen erfolgten 9456 ambulant, mit steigender Tendenz. Alle Standorte haben eine Notfallversorgung.Â
Dass die Sanierung des kommunalen Verbundes durch die politischen Interessen nicht unbedingt einfacher wird, muss Schmidtke niemand erklären. Er hat gewusst, worauf er sich einlässt. Er kennt die kommunalen Strukturen und ihre Fallstricke von seinen vorherigen Positionen – insbesondere beim ehemaligen Regiomed-Verbund, der ebenfalls aus sechs Standorten in sogar vier verschiedenen Landkreisen und zwei Bundesländern bestand.
Er war fast immer für öffentliche Träger tätig – „und ich fühle mich da auch sehr wohl“, sagt er. Er mag das Kommunalpolitische, die Auseinandersetzung mit den Standorten, mit den Kreisräten vor Ort, die öffentlichen Interessen, die neben der Wirtschaftlichkeit auch immer eine Rolle spielen – „das macht mir Freude“, versichert er. Am Ende bezahle es ja die Politik: „Dann muss man es auch akzeptieren.“
Das neue Krankenhaus in Calw – hier noch in der Simulation – soll im Frühjahr 2026 an den Start gehen.
Vielleicht, ergänzt er und schmunzelt, brauche man „eine gewisse Frustrationstoleranz – und man braucht Geduld“, sagt er und wiederholt es: „Geduld, Geduld, Geduld.“ Im öffentlichen Bereich seien eben mehr Umwege zu gehen als in einem privatwirtschaftlichen Umfeld: „Ich verliere ja trotzdem nie meine Ziele aus den Augen – und Umwege erweitern auch die Ortskenntnis.“
Die zwei Landkreise haben schon jahrelang Betriebsverluste in einem Umfang übernommen, „bei dem einem schwindelig wird – diese Dimension ist gewaltig“, sagt Schmidtke. Und das jetzige Pensum ist nicht weniger beeindruckend. Da ist zum einen das Flugfeldklinikum, ein Maximalversorger, der die zwei bisherigen Krankenhäuser in Sindelfingen und Böblingen ersetzt und gerade neu gebaut wird. Die Entscheidung sei auch politisch nicht leicht gewesen, „aber goldrichtig“, sagt Schmidtke. Das Projekt ist mittlerweile 800 Millionen Euro schwer, mit einem hohen Eigenanteil des Landkreises Böblingen.
Emotionale Debatten an der Tagesordnung
Genauso konsequent investiert der zweite Träger, der Landkreis Calw: Während beim Schwerpunktversorger in Nagold eine umfassende Generalsanierung läuft, die ebenfalls mit gewichtigen Eigenanteilen finanziert wird, entsteht auch in Calw ein neues Krankenhaus. Rund um den dortigen Grundversorger bildet sich ein sektorübergreifender Gesundheitscampus, der im nächsten Frühjahr an den Start gehen soll.
Dass bei all der Veränderung hoch emotionale Debatten an der Tagesordnung sind, hat er längst akzeptiert. Zuletzt wurden gerade in Leonberg Stimmen laut, die befürchten, das dortige Haus werde zu einem Integrierten Gesundheitszentrum umgewandelt. Genau dazu entwickelt der KVSW seinen sechsten Standort in Herrenberg – ein Szenario, dass die Leonberger für ihr Haus nicht hinnehmen mögen.
Schmidtke hält ihre Ängste für nachvollziehbar – „das entsteht ja auch häufig aus emotionaler Sicht“ – aber objektiv seien sie „nicht berechtigt“, versichert er. Die Energie, die in Themen wie diese fließt, sieht er als unvermeidlichen Teil seiner Aufgaben als Geschäftsführer im öffentlichen Bereich: „Solange ich davon überzeugt bin, dass wir auf dem richtigen Weg sind, bin ich da wirklich gelassen.“ Das Tal der Tränen zu durchlaufen, gehöre bei Veränderungsprozessen nun einmal dazu – „und das durchlaufen wir in Leonberg gerade, aber auch in Herrenberg und zum Teil auch an anderen Standorten“.
Um die drĂĽckenden Ausgaben zu reduzieren, soll insbesondere die Personalkostenquote von verbundweit derzeit 76 Prozent auf 65 Prozent sinken. DafĂĽr werden im gesamten KVSW Strukturen und Prozesse optimiert, Doppelvorhaltungen abgeschafft – „die ganze Organisation muss gestrafft werden“.Â
Wir optimieren und schichten um.Â
Werden dabei auch Stellen abgebaut? „Wir optimieren“, sagt Schmidtke, „und schichten um.“ Natürlich werde es „eine gewisse Neujustierung“ geben. Zudem lasse sich die Personalkostenquote auch mit gleichem Personalbedarf und höheren Erlösen senken. Das sei die Priorität Nummer eins. Deutlich angepasst werde allerdings im Bereich der betrieblichen Infrastruktur, etwa in der Verwaltung, den Personalservice-Bereichen, bei Bau und Technik. „Da haben wir innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre mehr als 120 Stellen abgebaut.“
Zwar werde auf allen Ebenen gleichermaßen optimiert, doch stelle er die patientenfernen Bereiche klar in den Fokus, betont Schmidtke. Darüber hinaus gehe es um die medizinische Infrastruktur, etwa Labor, Pathologie, Radiologie, Anästhesie, Intensivmedizin und Physiotherapie, und erst dann um die direkte Patientenversorgung: „Glücklicherweise haben wir im Pflegedienst enorm aufgebaut.“ Da zahlen sich offenbar attraktive Arbeitszeit- und Tarifmodelle sowie Incentivierungen aus, wie etwa die Übernahme aller Parkraumgebühren für die mehr als 5000 Beschäftigten: „Das führt dazu, dass wir noch eine gute Bewerbungslage haben“, sagt Schmidtke.
Die Kliniken Sindelfingen werden genau wie die in Böblingen im künftigen Flugfeldklinikum aufgehen.
Bei der Umsetzung der Medizinkonzeption hilft ihm die Krankenhausreform, konsequent zu bleiben und auch Konzentrationen vorzunehmen. Während sich manch anderes Argument für Veränderungen wegdiskutieren lasse, sei sie Gesetz, erklärt der KVSW-Chef: „Ich glaube auch, dass sie richtig ist für die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung in Deutschland.“ Und mit Blick auf die Leistungsplanung der Verbund-Häuser? „Wenn wir unsere Medizinkonzeption wie geplant umsetzen, haben wir eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir erfolgreich sein werden.“
Ein radiologisches Zentrum fĂĽr den Verbund
Dazu gehört auch, neue Erlösfelder zu erschlieĂźen. So ist zum 1. August etwa die neue Sektion Neuroradiologie gestartet, so dass der Verbund in die interventionelle Schlaganfallversorgung einsteigen kann. Damit werde zudem die Voraussetzung fĂĽr ein Neuro-Zentrum geschaffen, so Schmidtke, der auch die Neurochirurgie als Fachbereich etablieren will.Â
Nun rollt der Zug, und es ist kein Bummelzug.Â
Parallel wird an der medizinischen Infrastruktur gefeilt. Gab es bislang fünf eigene Radiologie Abteilungen sowie eine externe radiologische Praxis in Calw und ein MVZ, arbeitet zukünftig verbundweit ein radiologisches Zentrum. Der KVSW setzt auf Teleradiologie und -Medizin und will verstärkt künstliche Intelligenz einführen. „All das zahlt am Ende auf Erlöse und DRG ein“, sagt Schmidtke: „Wir sind da mit Hochdruck unterwegs.“ Zum 1. April wurde ein Konzerngeriater eingestellt, und zum August hat der Konzernradiologe angefangen.
Im Gesamtprojekt allerdings, da ist er ehrlich, sei der schwierigste Teil längst noch nicht geschafft: „Aber wir haben einen großen Teil hinter uns und jetzt klare Rahmenbedingungen.“ Nun rolle der Zug, „und es ist kein Bummelzug, sondern es ist zwischenzeitlich ein ICE“.
Quelle: Jens Kohrs (Freier Journalist) 2025. Thieme
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