Kommentar – Gesundheit im Wahlkampf – alte Probleme, neue Versprechen

Die Wahlprogramme vernachlÀssigen den Handlungsbedarf in der Gesundheitsversorgung. Alte VorschlÀge dominieren, neue AnsÀtze fehlen. Welche Lösungen könnten unsere Gesundheitsversorgung wirklich verbessern? Ein Kommentar von Prof. Axel Ekkernkamp.

Wenn sich die Politik an WĂŒnschen und BedĂŒrfnissen der Menschen orientieren wĂŒrde, mĂŒsste die Gesundheitsversorgung im Wahlkampf ganz weit oben stehen. Denn dort besteht der grĂ¶ĂŸte Handlungsbedarf. Die Wahlprogramme der relevanten Parteien spiegeln das allerdings nicht wider, da sich damit nun mal keine Wahlen gewinnen lassen.

Vieles, was die Parteien vorschlagen, erinnert an alten Wein in neuen SchlĂ€uchen. Von mehr PrĂ€vention ĂŒber sektorenĂŒbergreifende Versorgung bis hin zu regionalen Netzwerken in lĂ€ndlichen Gebieten – alles schon teils jahrzehntelang im GesprĂ€ch. Dazu gehören auch die wieder aufgeflammten Debatten um die EinfĂŒhrung einer BĂŒrgerversicherung in Verbindung mit der Marginalisierung der Privaten Krankenversicherung (PKV). Die Weichen fĂŒr ein langfristiges duales Nebeneinander von GKV und PKV wurden nicht zuletzt durch die Herzog- und die RĂŒrup-Kommission schon 2002/2003 gestellt, als es im Kern um die Reduzierung von Lohnnebenkosten ging. Die Existenz des PKV-Systems ist verfassungsrechtlich gesichert. Wenn jetzt wieder die Axt angelegt werden soll, geschieht das aus Unkenntnis, Populismus und dem − nicht selten erfolgreichen − Evozieren des Neidfaktors.

Krankenhausreform – QualitĂ€t vor QuantitĂ€t und Ende der Beliebigkeit

Dabei gibt es fĂŒr die kĂŒnftige Bundesregierung im Bereich Gesundheit wirklich genug zu regeln, insbesondere angesichts der teils dramatischen Entwicklungen in der von Insolvenzen bedrohten Kliniklandschaft. Das grundsĂ€tzlich gelungene Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) ist in Kraft getreten; jetzt muss die Umsetzung erfolgen. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat vorgemacht, wie sich mit Mut, Transparenz und dem Streben nach Konsens Erfolge erzielen lassen. Maßstab muss sein: QualitĂ€t vor QuantitĂ€t und Beendigung der Beliebigkeit.

Mit den Erfahrungen aus NRW lĂ€sst sich auch Optimierungspotenzial beim KHVVG ableiten: Dazu gehören etwa eine Anpassung der von vielen als unrealistisch eingestuften Anforderung zur Anzahl vorzuhaltender FachĂ€rzte oder regionale Ausnahmeregelungen in der FlĂ€che. Die vorgesehene VerweildauerverkĂŒrzung in den KrankenhĂ€usern ist zwar im Interesse der Patienten, dĂŒrfte aber in vielen Bereichen der medizinischen Versorgung – von der Geriatrie ĂŒber Palliativeinheiten bis hin zu stationĂ€rer Reha – so nicht zu stemmen sein. 

Die Beleuchtung des Gesamtsystems gehört ganz oben auf die Agenda der neuen Bundesregierung. 

Mit einer unionsgefĂŒhrten Bundesregierung hat auch ein Vorschaltgesetz mit Hilfen fĂŒr die Übergangsphase gute Umsetzungschancen. Bleibt als große Baustelle der Transformationsfonds, der im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Brandenburgs Gesundheitsministerin Britta MĂŒller (parteilos fĂŒr BSW) hat schon angekĂŒndigt, dass sich auch der Bund an der Finanzierung der 50 Milliarden Euro beteiligen muss. Hier einen Konsens auch mit LĂ€ndern und GKV zu finden, dĂŒrfte eine grĂ¶ĂŸere Herausforderung werden. Und auch bei den Vorhaltepauschalen gibt es Verbesserungsbedarf. Letztendlich kann die Krankenhausreform nur ein erster, wichtiger Schritt fĂŒr eine umfassende Gesundheitsreform sein, in die auch andere Akteure des Gesundheitswesens einbezogen werden mĂŒssen.

Die Beleuchtung des Gesamtsystems gehört ganz oben auf die Agenda der neuen Bundesregierung. Dabei gilt es, sich auch von unrealistischen Vorgaben zu trennen: Was nĂŒtzt z.B. die Forderung nach ambulanter DurchfĂŒhrung invasiver Maßnahmen im Krankenhaus (Paragraf 115 f, SBG V), wenn die Kliniken nicht ĂŒber ambulante Strukturen verfĂŒgen und die Belastung des Vertragsarztbereichs alle Grenzen ĂŒberschritten hat? Welcher Patient möchte auf seine Leistenbruchoperation 36 Monate warten? Wer akzeptiert ein völlig instabiles Kniegelenk nach Skiunfall zwei Winter lang?

Vorbereitung auf Krisen und Bedrohungen ist alternativlos

Auch beim Konzept des gemeinsamen Tresens in den Inte­grierten Notfallzentren (INZ), so wie sich das G-BA, GKV-Spitzenverband und KBV vorstellen, gilt: Es imponiert zwar auf den ersten Blick, aber in Wahrheit können die beiden Sektoren Krankenhaus und Niedergelassene das gar nicht leisten – von der in vielen FĂ€llen nicht vorhandenen Augenhöhe ganz ­abgesehen. Im Wahlkampf werden solche Themen keine Rolle spielen. Mir macht Mut, dass die Ministerialebene des BMG sehr gut aufgestellt ist. Karl Lauterbach, Karl-Josef Laumann, Klaus Holetschek oder wer zukĂŒnftig das Ministeramt bekleidet, kann auf viele schlaue Köpfe bauen. All diese – und viele weitere Aspekte – einer fortschrittlichen und zielgerichteten medizinischen Versorgung basieren auf dem gesellschaftlichen Konsens einer stabilen Demokratie in Friedenszeiten und auf einem Land, das volkswirtschaftlich nach wie vor gut dasteht.

Doch wir mĂŒssen uns mit einer starken Bedrohungslage im Baltikum auseinandersetzen. Das schon im Koalitionsvertrag 2021 verankerte Gesundheitssicherungsgesetz muss endlich erarbeitet und verabschiedet werden, um medizinisch besser auf Krisen vorbereitet zu sein. DafĂŒr ist aber eine stabile Mehrheit fĂŒr die kommende Regierung im Bundestag oder ein Konsens von Regierung mit zumindest großen Teilen der Opposition erforderlich. Eine Alternative gibt es nicht. 

Quelle: Prof. Dr. Axel Ekkernkamp 2025. Thieme

Â