Während die politische Debatte von Migration und Polarisierung dominiert wird, bleibt die Gesundheitspolitik auf der Strecke. Warum sprechen Politik und Medien nicht über die wachsenden Probleme im Gesundheitssystem – und was bedeutet das für uns alle?
Arthur Schopenhauer sagte einst: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Auch die Menschen in Deutschland sehen das so. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der AOK Anfang Januar zeigte, dass der Bereich Gesundheit und Pflege auf Platz eins der wichtigsten politischen Handlungsfelder lag. Umso erstaunlicher ist es, dass das Thema in Umfragen der öffentlich-rechtlichen Medien nicht einmal als auswählbare Kategorie auftaucht.
Die Umfrage wurde zwischen dem 16. und 18. Dezember 2024 durchgeführt – bevor das Attentat in Magdeburg, die Schreckenstat in Aschaffenburg und die daraus entbrannte Migrationsdebatte im Bundestag die mediale Agenda übernahmen. Bis zu diesem Zeitpunkt stand die Wirtschaft an oberster Stelle der politischen Prioritätenliste.
Migrationspolitik als dominierendes Thema
Mit den tragischen Ereignissen in Magdeburg und Aschaffenburg vollzog sich eine Wende. Plötzlich war die Migrationspolitik das alles dominierende Thema – noch überlagert von einer absurden Debatte um die Legitimität von Mehrheiten im Bundestag.
Dabei wurde immer weniger über Inhalte gesprochen und immer stärker auf persönlicher Ebene gestritten – im Bundestag und auf der Straße: Bundeskanzler Scholz attestiert Kanzlerkandidat Merz Doofheit, der kontert süffisant „Was war das denn?“. Die radikalen Kräfte von links und von rechts sind in so einem Klima der Polarisierung die einzigen Gewinner.
Politik und Publikumsmedien in der Pflicht
Doch zurück zur Gesundheitspolitik: Die Menschen in Deutschland haben in der Dezember-Umfrage der AOK klar erkannt, dass Gesundheit und Pflege ganz oben auf die Agenda gehören. Eigentlich gibt es reichlich Zündstoff für eine öffentliche Debatte. Doch diese Debatte findet aus gesagten Gründen nicht statt.
Fragen zum Gesundheitssystem werden zum großen Teil in Fachkreisen auf Fachveranstaltungen diskutiert, nicht aber in der breiten Öffentlichkeit. Sicherlich spielt die Komplexität des Themas eine Rolle. Doch genau hier sind Politik und die Publikumsmedien in der Pflicht: Sie müssen die Probleme und Lösungen verständlich aufbereiten und ihnen im öffentlichen Diskurs den angemessenen Raum geben. Bislang haben sich die Akteure in dieser Hinsicht nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Von der Krankenhausreform haben die Menschen bislang wenig mitbekommen. Das wird sich bald ändern: Die Reform wird nicht nur die Versorgungslandschaft in Deutschland nachhaltig verändern, sondern sich auch im Portemonnaie der Versicherten und Steuerzahler schmerzhaft bemerkbar machen.
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Was genau hier schiefläuft, gehört endlich in die Ă–ffentlichkeit.Â
25 Milliarden Euro sollen in den nächsten zehn Jahren aus dem Gesundheitsfond – also aus Beitragsgeldern der gesetzlich Krankenversicherten – finanziert werden. Damit wird das ohnehin schon riesige Finanzierungsloch der Kassen mit geschätzten 46 Milliarden Euro fĂĽr dieses Jahr kĂĽnftig noch tiefer. Eine starke Erhöhung des Zusatzbeitragssatze wird so unvermeidlich. Lang vergessen sind die Zeiten, in denen die GKV einen Ăśberschuss erwirtschaftet hatte. Das letzte Mal war 2013. Was genau hier schiefläuft, gehört endlich in die Ă–ffentlichkeit.Â
Und das sind noch nicht alle Mehrkosten für die Reform. Weitere 25 Milliarden Euro für die Krankenhausreform sollen von den Ländern kommen – also aus Steuergeldern. Die Antwort auf die Frage, woher diese die Mittel angesichts knapper Landeshaushalte nehmen sollen, bleibt die Politik jedoch schuldig. Ob die Reform am Ende wirklich zu einer besseren Versorgung führt, ist ungewiss. Es hätte eine offene Debatte in der Gesellschaft gebraucht, welche Art von Gesundheitssystem sich der Bürger wünscht und vor allem leisten will.
Kein Platz für gesundheitspolitische Fragen im Wahlkampfgetöse
AuĂźerdem bleiben weitere gesundheitspolitische Fragen unbeantwortet. Wie soll die ambulante Versorgung auf dem Land sichergestellt werden? Wie sieht die Zukunft der Notfallversorgung aus? Wie werden wir unsere Kranken und Alten zukĂĽnftig pflegen angesichts der fehlenden Pflegefachkräfte?Â
Es muss eine harte, aber sachliche Debatte darĂĽber gefĂĽhrt werden, wie die offenen Fragen gelöst werden.Â
Wie sichern wir unsere Medikamentenversorgung auch mit Blick auf die aktuellen und drohenden Krisen- und Kriegsszenarien auch in unserem Land? Wie schaffen wir es innovative Medizintechnologien schneller in unsere medizinische Versorgung zu integrieren? Wie lösen wir den Digitalisierungsrückstand in den Kliniken auf? Doch all diese Themen haben im aktuellen ideologiegetriebenen Wahlkampfgetöse keinen Platz.
Die Frage nach der Gesundheitsversorgung der Zukunft ist eine gesellschaftspolitische und noch dazu dringende. Sie gehört schnellstens in die Mitte der Gesellschaft. Es muss eine harte, aber sachliche Debatte darüber geführt werden, wie die offenen Fragen gelöst werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik nach dem 23. Februar endlich zur Sache zurückkehrt und die Bevölkerung in diese zentrale Debatte einbindet.
Quelle: Anna Herrschelmann (Chefredakteurin kma) 2025. Thieme
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