Konzernumbau – Philips stellt sich neu auf

Nach einem katastrophalen Jahr 2022 sucht der niederlÀndische Medtech-Konzern nach einem Weg aus der Krise. Der im vergangenen Herbst neu berufene Chief Executive Officer (CEO) Roy Jakobs will das operative GeschÀft schnell rentabler machen. 

Es gibt bessere Einstiege in einen neuen Job als CEO als die VerkĂŒndung eines massiven Stellenabbaus. Etwas ĂŒber ein halbes Jahr ist Roy Jakobs inzwischen beim niederlĂ€ndischen Medizintechnikkonzern Philips verantwortlich fĂŒr dessen Kurs. Ein millionenfacher RĂŒckruf von GerĂ€ten zur Beatmung und AtemĂŒberwachung von Schlafapnoe-Patienten hatte seinen VorgĂ€nger Frans van Houten den Job gekostet und den Konzern in eine tiefe Krise gestĂŒrzt. Immerhin stĂŒrzte der Konzern dadurch von einem Überschuss von 3,3 Milliarden Euro im Jahr 2021 in einen Verlust von 1,6 Milliarden Euro im darauffolgenden Jahr.

Jakobs verordnete ein milliardenschweres Sparprogramm und versprach, das Unternehmen wieder an akzeptable RentabilitĂ€tsniveaus heranzufĂŒhren. Bis 2025 werden konzernweit 10 000 Stellen abgebaut, jede achte Stelle fĂ€llt damit weg. In Deutschland betrifft das rund 400 ArbeitsplĂ€tze oder knapp ein Zehntel der gesamten Belegschaft, sagte Jakobs unlĂ€ngst der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Ermutigender Start ins Jahr 2023

Die aktuellen Quartalszahlen fĂŒr die ersten Monate des Jahres zeigten zwar operativ eine Besserung, befanden Analysten. Trotzdem standen unter dem Strich tiefrote Zahlen. Aus dem operativen GeschĂ€ft ergab sich ein Verlust von 583 Millionen Euro. Schuld sind vor allem hohe RĂŒckstellungen fĂŒr Rechtsstreitigkeiten in den USA wegen des RĂŒckrufes. Dies waren im ersten Quartal 2023 allein 575 Millionen Euro. Auch die Kosten des Sparprogramms tragen zu den roten Zahlen bei.

Immerhin lief es im TagesgeschĂ€ft besser. Der Umsatz zog im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent auf 4,2 Milliarden Euro an. Damit liege Philips deutlich ĂŒber den Erwartungen des Marktes, sagt Falko Friederichs Analyst bei der Deutschen Bank. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Firmenwertabschreibungen (EBITA) kletterte um fast die HĂ€lfte auf 359 Millionen Euro. Das Konzern-Management fĂŒhrt das vor allem auf inzwischen wieder besser funktionierende Lieferketten zurĂŒck.

Beim Auftragseingang profitiert Philips von mehr Bestellungen in den Bereichen Diagnostik und Behandlung. Weniger gut lief es ausgerechnet in der wichtigen Sparte, die sich der digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen widmet. Dennoch spricht Roy Jakobs von einem ermutigenden Jahresauftakt. Umsatz und RentabilitĂ€t hĂ€tten Fortschritte gemacht. Etwa die HĂ€lfte des angekĂŒndigten Stellenstreichungen sei international bereits umgesetzt. 

Wir arbeiten entschlossen daran, die Performance im laufenden Jahr zu verbessern.
Marktexperten befĂŒrchten allerdings, dass das fĂŒr Philips rabenschwarze Jahr 2022 noch eine Weile nachwirken wird. „Das Jahr 2022 war fĂŒr Philips und seine AktionĂ€re sehr enttĂ€uschend“, formulierte CEO Jakobs seinerzeit. „Wir arbeiten entschlossen daran, die Performance im laufenden Jahr zu verbessern“.

Der als möglicherweise gesundheitsgefĂ€hrdend in der Kritik stehende Schallschutzschaum in den zurĂŒckgerufenen GerĂ€ten soll durch ein neues Material ersetzt werden. Das Reparatur- und Austauschprogramm sollte im Wesentlichen bis zum vergangenen Dezember abgeschlossen sein. Mittlerweile hat Philips nach eigenen Angaben 95 Prozent der ErsatzgerĂ€te produziert und mehr als vier Millionen Patienten versorgt.

Wie hoch die finanziellen Belastungen am Ende sein werden, kann noch niemand sagen. Das hĂ€ngt nicht zuletzt vom Ausgang ĂŒber 100 Sammelklagen ab, die in den USA anhĂ€ngig sind. Das juristische Tauziehen kann sich ĂŒber Jahre hinziehen. Es schadet dem Image und bindet ManagementkapazitĂ€ten. Hinzu kommen die organisatorische Aufarbeitung des millionenfachen RĂŒckrufs, die Suche nach Fehlerquellen in der Prozesskette, die Überarbeitung von QualitĂ€ts- und Sicherheitsstandards. Noch schlimmer allerdings wiegt der Vertrauensverlust. Ausgerechnet im hochsensiblen Beatmungsbereich kamen womöglich Patienten zu Schaden. 

Eine unabhĂ€ngige Untersuchung von mehr als 60 000 der betroffenen GerĂ€te in den USA deute auf die Verwendung nicht zugelassener Reinigungsmittel als Ursache hin, betont Philips. Man erachte einen Zusammenhang mit unsachgemĂ€ĂŸer Anwendung damit als bewiesen. Dennoch musste das Unternehmen immer wieder die RĂŒckstellungen zur finanziellen Abfederung aufstocken – auf bislang fast eine Milliarde Euro. Die erklecklichen Risiken aus möglichen Schadenersatzurteilen sind darin noch nicht einmal enthalten. Bis heute sollen weltweit Kosten von 725 Millionen Euro aufgelaufen sein. Außerdem prĂŒfen US-Justizbehörden den Fall. Verhandlungen ĂŒber einen möglichen Vergleich haben bisher zu keinem Ergebnis gefĂŒhrt. 

Operatives GeschÀft im Aufwind aber stockend

Man strebe eine schrittweise Verbesserung der Performance an, versicherte Jakobs Anfang des Jahres. Der neue Chef verspricht, die operative Marge (EBITA) bis 2025 auf einen Wert zwischen zehn und 15 Prozent anzuheben. Doch bevor er sich in einer besseren Effizienz niederschlagen kann, kostet der gerade erste begonnene Umbau viel Geld.

Dass die Dinge derzeit nicht so richtig laufen, liegt auch nicht allein an der teuren RĂŒckrufaktion. Lieferprobleme, die Covid-Lockdowns in China und der Krieg in der Ukraine belasteten im vergangenen Jahr das TagesgeschĂ€ft. Vor allem fehlende Chips bremsten die Produktion: KrankenhĂ€user mussten die Installation neuer GerĂ€te verschieben, weil Teile fehlten. Inzwischen soll die Versorgung mit Vorprodukten und Rohstoffen wieder besser laufen. 

Im letzten Quartal des abgelaufenen Jahres legte der Umsatz bereinigt um drei Prozent auf 5,4 Milliarden Euro zu. Getragen wurde das Wachstum hauptsĂ€chlich – wie auch in den ersten Monaten des laufenden Jahres – von der wichtigen Sparte „Diagnosis an Treatment“. Die Erwartungen der Analysten an den Jahresauftakt blieben mau: Ein organisches Umsatzwachstum von gerade einmal einem Prozent prognostizierte die Deutsche Bank, außerdem mit einem RĂŒckgang des bereinigten EBITA um 14 Prozent. JP Morgan notierte ein angeschlagenes Vertrauen in die Unternehmensprognosen. AktionĂ€rsschĂŒtzer bemĂ€ngeln eine zögerliche Kommunikation. 

Die Aktie konnte dennoch von der Überraschung ĂŒber die operative Verbesserung im ersten Quartal profitieren. Aktuell kostet die Philips-Aktie wieder etwas ĂŒber 19 Euro. Seit Jahresbeginn haben die Papiere fast 40 Prozent an Wert gewonnen. Allerdings lag der Preis vor dem RĂŒckruf-Desaster noch bei 50 Euro. Analysten der US-Investmentbank JP Morgan gaben sich nach Bekanntgabe der aktuellen Quartalszahlen wenig beeindruckt. Der Medizintechnikkonzern habe zwar seine und die KonsensschĂ€tzungen deutlich ĂŒbertroffen, schrieb Analyst David Adlington. Doch das Vertrauen in die auf die Zukunft gerichteten Unternehmensaussagen sei rapide gesunken. Immerhin habe Philips die Jahresprognose nicht angehoben. 

Gesundheitsmarkt weiter im Fokus

Die Panne mit den BeatmungsgerĂ€ten tut auch deshalb weh, weil sich der Konzern zunehmend auf den Gesundheitsmarkt konzentriert. Das Produktportfolio umfasst Zukunftsfelder, wichtig fĂŒr die medizinische Versorgung alternder ­Bevölkerungen: Ultraschall-gestĂŒtzte Diagnostik, CT, MRT, bildgefĂŒhrte Therapien, Monitore zur PatientenĂŒberwachung auf Intensivstationen, GerĂ€te zur Beatmung und AtemĂŒberwachung, Software zur digitalen Behandlungsplanung und zur Optimierung von ArbeitsablĂ€ufen, Komplexe IT-Lösungen fĂŒr das klinische Datenmanagement. 

Hoffnung liegt auf der Entwicklung von Softwareanwendungen zur Optimierung von ArbeitsablĂ€ufen und IT-Lösungen fĂŒr das klinische Datenmanagement. Wie die Wettbewerber General Electric (GE) und Siemens setzt Philips in Deutschland auch auf öffentlich geförderte Digitalisierungsprojekte. Der Umgang mit großen Datenmengen wird fĂŒr KrankenhĂ€user zunehmend zur Herausforderung. Gleichzeitig versprechen digitale Anwendungen Verbesserung in der ProduktivitĂ€t, unter anderem durch effizienter getaktete VersorgungsablĂ€ufe. FĂŒr viele Medizintechnikanbieter in diesem Zusammenhang sind lange ServicevertrĂ€ge ĂŒber Wartung, Reparaturen oder Software-Updates sehr lohnend.

DigitalaktivitĂ€ten in Enterprise Informatics gebĂŒndelt

Um seine DigitalaktivitĂ€ten DigitalaktivitĂ€ten im Gesundheitsbereich stĂ€rker zu bĂŒndeln, fĂŒhrt der Konzern diese nun alle unter dem zentralen Dach von Enterprise Informatics zusammen. Von dort aus werden zukĂŒnftig alle AktivitĂ€ten rund um den Vertrieb und die Weiterentwicklung des bestehenden Health-IT-Portfolios gesteuert. Dr. Uwe Heckert, bislang Chef fĂŒr den GeschĂ€ftsbereich Health Systems fĂŒr Deutschland, Österreich und die Schweiz, ist aufgestiegen und hat Anfang Mai die Leitung von Enterprise Informatics in Europa und in den „WachstumsmĂ€rkten“ (Philips) ĂŒbernommen. Auf die bisherige Position von Heckert ist der Finne Mikko Vasama nachgerĂŒckt, der bislang bei Philips die GeschĂ€fte in Finnland verantwortete. 

CEO Roy Jakobs verspricht, dass Philips seine marktfĂŒhrende Stellung im Bereich der bildgefĂŒhrten Therapien ausbauen werde. Außerdem konzentriert sich der Konzern auch auf Ultraschall-Diagnostik, PatientenĂŒberwachung und das Personal Health Business. In diesen GeschĂ€ftsfeldern, in denen sich Philips nach eigenen Angaben zu den MarktfĂŒhrern im Wettbewerb zĂ€hlt, hat das Unternehmen im Vorjahr 70 Prozent der Erlöse eingefahren. KĂŒnftig soll dorthin auch das Gros der Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen fließen. Auch an der gebeutelten Beatmungssparte will der Konzern ­offenbar festhalten

Quelle: Sabine RĂ¶ĂŸing 2023. Thieme

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