Krisenmodus – Was nun auf den neuen Vorstand in Mainz zukommt

Die Landesregierung hat zum Befreiungsschlag ausgeholt und den Vorstand der Unimedizin Mainz neu aufgestellt. Die „Neuen“ übernehmen ein zerstrittenes Haus mit üppigem Defizit. Was fehlt ist ein Sanierungskonzept, dessen Effekte schnell greifen.

Ende September war Schluss: Der umstrittene kaufmännische Vorstand Dr. Christian Elsner hat seinen Arbeitsplatz bei der Universitätsmedizin Mainz geräumt. Nach eigenen Angaben hatte er sich schon länger dazu entschieden, seinen Posten abzugeben und nun habe man sich einvernehmlich auf seine Abberufung verständigt.

Der avisierte neue Vorstandschef Prof. Ralf Kiesslich soll zum 1. Januar 2024 starten. „Mir ist wichtig, dass die Universitätsmedizin wieder zur Ruhe kommen kann“, verkündet der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister Clemens Hoch, der – ein Novum – wieder selbst die Führung des Aufsichtsrats übernimmt und dort seinen Staatssekretär Denis Alt ablöst. Das Land stehe als Träger hinter seiner Universitätsmedizin, sagt Hoch. Und es folgen die üblichen, etwas wolkigen Formulierungen zur „Modernisierung von innen“ und zur Notwendigkeit von Veränderungen. Die inneren Prozesse müssten in ein fruchtbares Arbeitsumfeld gebracht werden. 

Wir erwarten, dass Vorstand und Einrichtungsleiter künftig nicht mehr abgekoppelt von ihrer Belegschaft agieren. 

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi immerhin begrüßt den personellen Neustart und sieht die Weichen gestellt für eine konstruktive Zusammenarbeit. Der neu zusammengesetzte Vorstand müsse die gesamte Belegschaft ab sofort transparent und niederschwellig über alle Pläne, Schritte und Maßnahmen auf dem Laufenden halten, fordert der Landesbezirksfachbereichsleiter Gesundheit in Rheinland-Pfalz, Frank Hutmacher: „Wir erwarten, dass Vorstand und Einrichtungsleiter künftig nicht mehr abgekoppelt von ihrer Belegschaft agieren, sondern unbedingt diejenigen, die das Kerngeschäft der Universitätsmedizin Mainz am Laufen halten in allen künftigen Fragen und Prozessen mitnehmen und einbeziehen“.

Misswirtschaft und unbezahlte Rechnungen

Es war vor allem der mit wenig Fortune agierende Finanzchef, an dem sich zuletzt öffentlicher Widerstand entzündete. Dabei sollte der erst 2019 vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein geholte Christian Elsner das Mainzer Uniklinikum eigentlich finanziell wieder in ruhiges Fahrwasser bringen. Das scheint gründlich misslungen. Chefärzte und Belegschaft schrieben Brandbriefe, verwahrten sich dagegen, „kaputtgespart“ zu werden, sprachen von Misswirtschaft, Mangelverwaltung und Ignoranz. Eine Fülle an unbezahlten Rechnungen habe sich aufgestaut.

Im Sommer musste Vorstandschef Pfeiffer auf Nachfrage einräumen, dass wegen Personalnot in der Buchhaltung Lieferantenrechnungen in Höhe von zeitweise bis zu 60 Millionen Euro nicht bezahlt werden konnten. In der Folge stockte die Belieferung mit Medikamenten und medizinischen Instrumenten. Ein Übermaß an teuren externen Beratern sei ein- und ausgegangen, kritisierten Elsners Gegner. Zuletzt sorgte auch noch ein stundenlanger Ausfall von IT-Backup-Systemen für Unruhe. 

Die Situation ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. 

Die Opposition im Landtag ist auf den Barrikaden: „Die Situation ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Es war ein absolutes Management-Chaos“, ereifert sich der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Dr. Christoph Gensch: Der Kaufmännische Vorstand habe bei seinen Sanierungsbemühungen die Lage noch verschlimmert.

Seit Jahren stehe die Mainzer Universitätsmedizin am Abgrund: baulich, personell, organisatorisch, sagt Gensch. Die Schuld für die Misere sieht er allerdings nicht beim Klinikum: Die Wurzel allen Übels liege vielmehr in der unzureichenden Finanzierung durch die Landesregierung. Sein Kollege stößt ins gleiche Horn: „Die Universitätsmedizin Mainz wird stranguliert durch aufgelaufene Kreditverpflichtungen“, kritisiert der CDU-Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner. Sein Vorwurf: „Laufende Zuweisungen wurden nicht an die Inflation angepasst“. Das Land sei seiner Investitionsverpflichtung ungenügend nachgekommen: „Die Mainzer Unimedizin schiebt einen Schuldenberg in dreistelliger Millionenhöhe vor sich her, der immer größer wird, aufgebaut über Jahre und Jahrzehnte“, so Gensch.

Und sukzessive kommen weitere Schulden hinzu: Zum wiederholten Male musste sich die Unimedizin unlängst vom Haushalts- und Finanzausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags die Erweiterung ihrer Kreditlinie genehmigen lassen.

Talfahrt geht weiter

Der Antrag für die erhöhten Kreditrahmen kam durch, allerdings ohne die Stimmen der CDU. Statt wie bisher 600 Millionen darf die Unimedizin nun also 750 Millionen Euro Schulden machen. Notwendig wurde der Bittgang, nachdem das Haus im vergangenen Jahr erneut 65 Millionen Euro Verlust gemacht hatte. Das für das laufende Kalenderjahr ursprünglich kalkulierte Minus war bereits im Sommer deutlich überschritten. Statt des ursprünglich geplanten Defizits von 57 Millionen Euro ist nun die Rede von 80 Millionen und mehr. Explodierende Energie- und Materialkosten, Inflation, teure Lohnabschlüsse und Fachkräftemangel führt das Klinikum zur Begründung an.

Die Opposition im Landtag beklagt ein „noch nie dagewesenes Rekorddefizit“. Die Universitätsmedizin verbrenne „in immer schnellerem Tempo abenteuerliche Summen“. „Wir haben dem Antrag auf Erweiterung der Kreditlinie nicht entsprochen“, sagt CDU-Politiker Gensch: Immer mehr Kredite aufzunehmen, sei der falsche Weg. 

Das Land muss mehr Geld in die Hand nehmen. 

Doch einen stringenten und womöglich schmerzhaften Sparkurs fordert auch er nicht, im Gegenteil: Es soll noch mehr Geld fließen. Die Unimedizin müsse finanziell auf ein tragfähiges Fundament gestellt werden, fordert er. Das Land müsse mehr Geld in die Hand nehmen, unterstreicht Fraktionskollege Schreiner. Er fordert von der Landesregierung sogar, das Uniklinikum komplett zu entschulden. Das allerdings plant diese nach Angaben eines Sprechers nicht.

Baumasterplan – Silberstreif am Horizont

Dennoch verspricht das Land noch mehr Geld, einen ordentlichen Batzen sogar: Um die Unimedizin zukunftsfähig aufzustellen, werde das Land Rheinland-Pfalz diese „in den kommenden Jahren zu der modernsten und nachhaltigsten in ganz Deutschland modernisieren“, verspricht die Landesregierung. Rund 2,3 Milliarden Euro will sie für die bauliche Sanierung in die Hand nehmen. Schätzungsweise ab 2038 sollen die vier Millionen Einwohner von Rheinland-Pfalz dann über einen Unimedizin-Campus verfügen, der im weltweiten Wettbewerb um medizinische Exzellenz und die Ansiedlung von Spitzenforschung mithalten kann.

Masterplan und Rekord-Neuausgaben stellt offenbar niemand in Frage, trotz des beharrlich steigenden laufenden Defizits: „Wir wollen, dass die Forscher-Eliten in der Welt künftig wissen, wo Mainz ist“, verkündet CDU-Mann Schreiner. Und Verdi tönt: „Der Baumasterplan ist nach aktuellem Stand aus unserer Sicht zukunftsweisend“.

Einhellig verweisen Regierung und Opposition auf die Erfolge des Biotech-Clusters rund um den Mainzer Impfstoff-Hersteller Biontech: Das einzige Universitätskrankenhaus in Rheinland-Pfalz solle eine Keimzelle des medizinischen Fortschritts werden und „weltweit führend in der Biotechnologie“.

Neue Mitte oder Sanierungsroutine?

Inhaltlich klingt das Vorhaben in vielen Bereichen eher nach Sanierungsroutine: Zentrenbildung, die Zusammenlegung der Verwaltungen und Vergrößerung der Stationen, ein Neubau mit Zentral OP und zentraler Notaufnahme, räumliche Zusammenführung der ambulanten Behandlungsangebote. Die neue Baustruktur ermögliche einen Betrieb, weg von der sehr ineffizienten Pavillonstruktur mit vielen, teilweise vollkommen veralteten Einzelgebäuden, hin zu einem effizienten, energetisch nachhaltigen und außerdem technisch hochmodernen Supramaximalversorger der Spitzenmedizin, argumentiert Verdi. Geplant sind außerdem ein Eltern-Kind-Zentrum, ein Lehrzentrum, ein Forschungscampus sowie die Etablierung eines klinischen Profilbereichs für Immuntherapie und individualisierte Medizin.

Baulich entstehe eine neue Mitte, lobt auch Schreiner die Kernelemente des Masterplans. Es solle Raum geschaffen werden für eine Ausweitung der Kapazitäten. Die baulichen Erneuerungen sollten der Universitätsmedizin Mainz für die kommenden Jahre und Jahrzehnte die Möglichkeit bieten, sich effizient und nachhaltig aufzustellen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Institution verbessern, heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Beginnen werden die Bauarbeiten am Zentralbau aber offenbar nicht vor 2026.

Haushalt in schweren Zeiten

Wie und wo in der Zwischenzeit gespart werden muss, um das besorgniserregende und kontinuierlich steigende Defizit in den Griff zu bekommen, dazu ringen sich aber weder Landesregierung noch Opposition zu einer klaren Aussage durch. Substanzielle Erkenntnisse, so der Ministeriumssprecher, werde die derzeit laufende Organisationsuntersuchung bringen: „Wir erwarten uns davon wichtige Handlungsempfehlungen, um die Universitätsmedizin noch wirtschaftlicher und leistungsfähiger aufzustellen“.

Das wird dringend notwendig sein, denn finanziell spürt auch das Land zunehmenden Druck. Ministerpräsidentin Malu Dreyer bereitete die Bürger mit Blick auf den aktuellen Haushalt schon einmal auf schwierige Zeiten vor: Corona, die Flutkatastrophe im Ahrtal und der Ukrainekrieg fordere die Landesfinanzen in zuvor nicht gekannter Weise heraus, heißt es in der Pressemitteilung zur Vorstellung des Doppelhaushalts 2023/2024.

Verdi richtet auch den Blick nach innen und kritisiert Bereichs-Egoismus. Die Forderungen der Belegschaftsvertreter lassen erahnen, wie schlecht die Stimmung in Mainz zuletzt war: Verdi erwarte vor allem von den Einrichtungsleitern, „über die Blase“ der eigenen Bereiche und die eigenen Befindlichkeiten hinauszudenken“, formuliert Hutmacher. 

Aus tarifpolitischer Sicht ist die Unimedizin einer der attraktivsten Arbeitgeber der Region. 

Er kritisiert Silodenken und fordert Solidarität zur Bearbeitung „der vielen drängenden Probleme der Unimedizin“. Für Verdi sind das vor allem, Fachkräftemangel, die Umsetzung der neuen Vorgaben zur Pflegebedarfsmessung (PPR 2.0) und die Vorbereitung auf die geplante Krankenhausreform: „Aus tarifpolitischer Sicht“, sagt der Verdi-Vertreter, sei die Unimedizin im Bereich des Gesundheitswesens bereits heute einer der attraktivsten Arbeitgeber der Region.

Die „Neuen“

Medizinischer Vorstand und Vorstandsvorsitzender wird zum 1. Januar 2024 der Internist Prof. Ralf Kiesslich. Er ist seit 2016 Ärztlicher Direktor der Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden. In Mainz hat er Medizin studiert, die Facharztausbildung absolviert und habilitiert.

Die Verantwortung für die Finanzen übernimmt ab November 2023 die Kanzlerin der Johannes-Gutenberg-Universität, Dr. Waltraud Kreutz-Gers. Sie soll das Amt übergangsweise zunächst für ein Jahr übernehmen.

Neuer Wissenschaftlicher Vorstand könnte Prof. Dr. Thomas Kamradt werden. Seine Wahl im Fachbeirat steht noch aus. Sein Amtsantritt wäre zum 1. April 2024.

Ebenfalls zum Jahreswechsel übernimmt Gesundheits- und Wissenschaftsminister Clemens Hoch den Aufsichtsratsvorsitz an der Universitätsmedizin und macht die Causa Universitätsmedizin damit zur Chefsache.

Quelle: Sabine Rößing (Freie Journalistin) 2023. Thieme