Lauterbachs Digitalisierungsstrategie – Wie in Zukunft Patientendaten genutzt werden sollen

Das Bundesgesundheitsministerium hat einen ersten Referentenentwurf für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz sowie ein Digitalgesetz angekündigt. Für kma haben die Anwälte Michael Kuska und Catarina Seemann einen Blick auf das ambitionierte Vorhaben geworfen.

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen und in der Pflege schreitet weiter stark voran. Gleichwohl wird diese Entwicklung teilweise erheblich behindert. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass zwar durch die fortschreitende Digitalisierung der Umfang der potenziell nutzbaren Gesundheitsdaten, einschließlich die Daten der Pflege, stetig steigt.

Ausgangslage und Zielsetzung 

Diese Daten sind in Deutschland allerdings derzeit nicht in ausreichendem Maß für eine Weiternutzung außerhalb des unmittelbaren Versorgungskontexts verfügbar. Darüber hinaus sind Gesundheitsdaten aufgrund der dezentralen Ausrichtung des deutschen Gesundheitssystems in unterschiedlichen Quellen (z.B. klinische Krebsregister, Kranken- und Pflegekassen) gespeichert. Zudem fehlen explizite Vorgaben und Verfahren zur Verknüpfung dieser Daten. Schließlich unterliegt die (Weiter-)Nutzung von Gesundheitsdaten unterschiedlichen bundes- und landesdatenschutzrechtlichen Regelungen (z.B. Bundesdatenschutzgesetz, Landesdatenschutzgesetze, Sozialgesetzbücher), die von Aufsichtsbehörden und sonstigen Stellen teilweise unterschiedlich ausgelegt werden. Hier gibt es bundesweit einen großen Harmonisierungsbedarf.

Die Initiativen des Bundesgesundheitsministerium (BMG) versprechen, die effektive (Weiter-)Nutzung von Gesundheitsdaten zu fördern. Ziel des Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) ist es darüber hinaus, die Potentiale der modernen Technologie voll auszuschöpfen, um die Patientenversorgung zu verbessern. Denn qualitativ hochwertige, strukturierte und verknüpfbare Daten sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse generiert und eine bessere und qualitätsgesicherte Versorgung gewährleistet werden kann. Durch das GDNG sollen daher vor allem datenschutzrechtliche Regelungen vereinheitlicht und bürokratische Hürden reduziert werden. Gleichzeitig werden erste Schritte zur Vorbereitung des deutschen Gesundheitswesens auf eine europäische Anbindung an den im Aufbau befindlich Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS) avisiert.

Die zentralen Eckpunkte des GDNG

Das GDNG soll eine eigenständige weitreichende gesetzliche Grundlage bieten, auf deren Basis Gesundheitsdaten gesammelt, genutzt und weiterverarbeitet werden dürfen. Dafür müssen auch diverse Regelungen unter anderem in den Sozialgesetzbüchern und dem BDSG angepasst werden.

  1. Eine neue zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle ist vorgesehen

Das GDNG avisiert den Aufbau einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt werden soll. Diese zentrale Stelle soll als Vermittler zwischen datenhaltenden Stellen – wie etwa das Forschungsdatenzentrum – und Datennutzenden fungieren und insbesondere koordinierende Aufgaben übernehmen.

Durch die zentrale Stelle soll der Zugang von Datennutzenden zu Datenquellen wesentlich erleichtert, Hürden bei der Antragsstellung abgebaut und damit einhergehende Aufwände reduziert werden. Dad soll eine vernetzten Gesundheitsdateninfrastruktur ausgebaut werden. Neben dieser Koordinierungsfunktion soll die zentrale Stelle Datennutzende bei der Identifizierung und Lokalisierung der für ihre Zwecke benötigten Gesundheitsdaten unterstützen und einen öffentlich zugänglichen Katalog über die im deutschen Gesundheitswesen vorhandenen Gesundheitsdaten mitsamt dem jeweiligen Halter führen (sog. Metakatalog).

  1. Forschungsdatenzentrum Gesundheit wird weiterentwickelt

Ein weiterer Eckpunkt betrifft die Erweiterung der Aufgaben und Funktion des Forschungsdatenzentrums im Zusammenhang mit der Zugänglichmachung der bei ihm gespeicherten Daten an Nutzungsberechtigte. Während die Zugänglichmachung nach aktueller Rechtslage nur an einen bestimmten Kreis nutzungsberechtigter Stellen zulässig ist und strenge Anforderungen an den Zweck der Verarbeitung durch diese nutzungsberechtigten Stellen gestellt werden, sieht das GDNG eine erhebliche Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten vor.

So soll künftig der Kreis der nutzungsberechtigten Einrichtungen nicht mehr auf bestimmte Stellen beschränkt werden. Vielmehr soll allein der mit der Datennutzung verfolgte Zweck maßgeblich sein, wobei mit dem GDNG eine wesentliche Erweiterung der Zwecke geplant ist. Dies bedeutet, dass zukünftig beispielsweise auch die forschende Industrie oder politische Einrichtungen Zugriff auf die beim Forschungsdatenzentrum Gesundheit gespeicherten Daten erhalten können, vorausgesetzt, dass diese die vorgesehenen Zwecke sowie die weiteren Anforderungen erfüllen.

Zu den vorgesehenen Zwecken gehört etwa die Verbesserung der Qualität der Versorgung sowie der Sicherheitsstandards der Prävention, Versorgung und Pflege, die wissenschaftliche Forschung in den Bereichen Gesundheit und Pflege, die Unterstützung politischer Entscheidungsprozesse zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, die Wahrnehmung von Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung sowie die Entwicklung, Weiterentwicklung, Nutzenbewertung und Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, Hilfs- und Heilmitteln sowie digitalen Gesundheits- und Pflegeanwendungen, einschließlich Testen und Trainieren von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen.

III. Elektronischen Patientenakte wird als zentrale Plattform im Gesundheitswesen etabliert

Um die mit dem GDNG verfolgten Ziele zu erreichen, d.h. insbesondere den Austausch und die (Weiter-) Nutzung von Gesundheitsdaten zu erleichtern, soll der elektronischen Patientenakte (ePA) als Austauschplattform zwischen Leistungserbringern und Versicherten sowie als digitales Gesundheitsmanagementsystem zukünftig eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung zukommen. Gleichzeitig sollen Hindernisse bei der Nutzung der ePA beseitigt und eine flächendeckende Verbreitung erreicht werden.

Zu diesem Zweck ist eine weitreichende Umstellung des bisherigen Einwilligungsmodells (Opt-In) hin zu einem Widerspruchmodell (Opt-Out) vorgesehen. Entsprechend soll ab 2025 jeder versicherten Person vorbehaltlich eines Widerspruchs eine eigene ePA durch die Krankenkasse zur Verfügung gestellt werden. Ein vorheriger Antrag und eine entsprechende vorherige Einwilligung zur Einrichtung sind somit nicht mehr notwendig.

Hieran anknüpfend wird auch für die Datenfreigabe aus der ePA ein Widerspruchsverfahren eingeführt, um eine bessere Nutzbarmachung der Daten zu erreichen. Dies betrifft etwa die Datenfreigabe zur Übermittlung der in der ePA gespeicherten Daten an das Forschungsdatenzentrum.

  1. Datenverarbeitungsbefugnisse der Kranken- und Pflegekassen werden erweitert

Weiter avisiert das GDNG eine Ausweitung der Verarbeitungsbefugnisse der Kranken- und Pflegekassen zum Zwecke des Gesundheitsschutzes. Konkret sollen die Kranken- und Pflegekassen befugt werden, Gesundheitsdaten ihrer Versicherten zum Zwecke des individuellen Gesundheitsschutzes, zur Verbesserung der Versorgung und zur Verbesserung der Patientensicherheit automatisiert auszuwerten und die Versicherten individuell anzusprechen.

Hierunter fallen etwa Früherkennungsmaßnahmen, Maßnahmen zur Überprüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit sowie vergleichbare Maßnahmen zur Erkennung und Identifizierung akuter und schwerwiegender Gesundheitsgefährdungen.

Die automatisierte Verarbeitung der bei den Kassen vorliegenden Daten zu den vorgenannten Zwecken soll ebenfalls ohne Einwilligung der Versicherten zulässig sein, wobei ein Widerspruchsrecht vorgesehen ist. Die Versicherten sollen rechtzeitig von den Kranken- und Pflegekassen über die Datenauswertung und über die Möglichkeit des Widerspruchs informiert werden.

Sofern bei der Analyse der erhobenen Daten eine konkrete Gesundheitsgefährdung bei Versicherten identifiziert wird, sollen die Versicherten umgehend über die bestehende Gefährdung unterrichtet werden. Dazu soll es den Kassen erlaubt werden, ihre Versicherten individuell anzusprechen. Diese Unterrichtung soll dann als unverbindliche Empfehlung ausgestaltet werden, medizinische Unterstützung eines Leistungserbringers in Anspruch zu nehmen. Damit sollen die Kassen stärker als zuvor in medizinische Fragestellungen eingebunden werden.

Fazit und Ausblick

Das Gesundheitsministerium plant bei der Umsetzung dieses Vorhabens nur wenig Zeit für parlamentarische Beratungen ein: Das Gesetz soll bereits am 1. Januar 2024 in Kraft treten. Angesichts der Tatsache, dass der Referentenentwurf erst kürzlich erstellt und erst jetzt in die entsprechenden Gremien zur Konsultation gegeben wird, dürfte dieser Zeitraum sehr ambitioniert sein.

Der angekündigte Referentenentwurf stellt einen wichtigen Meilenstein in der Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Pflege dar. Vor allem die Einführung des Widerspruchsverfahrens im Zusammenhang mit der Einrichtung und der Datenfreigabe der ePA dürfte als echter Paradigmenwechsel anzusehen sein. Aus Versorgungs- und Forschungssicht ist dies sicherlich zu begrüßen, da hierdurch die Nutzung von Gesundheitsdaten wesentlich vereinfacht wird, wenngleich dies naturgemäß mit einem nicht unerheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patienten bzw. Versicherten einhergeht. Gleichwohl ist festzustellen, dass die bisherige Einwilligungslösung oftmals ein Hindernis bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Pflege darstellte und die ePA insgesamt auf wenig Akzeptanz, weder bei den Versicherten noch den niedergelassenen Ärzten gestoßen ist. Es bleibt daher abzuwarten, ob der neue Vorstoß im GDNG zu einer echten Kehrtwende führen und die gewünschten Effekte erzielen wird.

Gleiches gilt mit Blick auf die im GDNG enthaltenen Regelungen zum Ausbau der dezentralen Gesundheitsdateninfrastruktur. Hier soll den maßgeblichen im EHDS erwarteten europäischen Anforderungen vorgegriffen werden, um die Anschlussfähigkeit der künftigen Gesundheitsdateninfrastruktur an den EHDS frühzeitig sicherzustellen. Auch dieser Ansatz ermöglicht es, schon vor Inkrafttreten des EHDS die Datenverfügbarkeit für Einrichtungen im Gesundheitswesen zu optimieren. Allerdings ist es auch hier offen, ob dieser Vorgriff den gewünschten Effekt erzielen wird. Denn der dem EHDS zugrundeliegende Verordnungsentwurf selbst befindet sich noch in Abstimmung auf europäischer Ebene. Je nach Ergebnis dieser Abstimmung wird der deutsche Gesetzgeber seinen regulatorischen Rahmen daher im Zweifel zukünftig noch einmal anpassen müssen.

Quelle: Michael Kuska und Catarina Seemann (beide Rechtsanwälte der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek) 2023. Thieme