Seit April 2022 leitet Dr. Susanne Ozegowski die Abteilung „Digitalisierung und Innovation“ im BMG. Freundlich im Ton, entschlossen in der Sache, hat sie die Digitalisierung des Gesundheitswesens – vor allem die Einführung ePA – maßgeblich vorangetrieben.
Ausgezeichnet mit dem Thieme Management Award als Managerin des Jahres 2024: Dr. Susanne Ozegowski.
Die kleine Gruppe ist im Schnee nur schemenhaft zu erkennen. Sechs Menschen im dichten Schneetreiben, es sind nur kleine schwarze Punkte im weißen Nichts. Im Schlepptau haben sie Pulkas, jene bootsähnlichen Schlitten der indigenen Sámi (umgangssprachlich veraltet auch Lappen genannt). Ohne die würde es in der spätwinterlichen Eis- und Felswüste der Hardangervidda mit der schweren Ausrüstung kaum vorangehen. Das Gebirgsplateau in Südnorwegen ist zu dieser Jahreszeit wahrlich kein Ort für mitteleuropäische Couchsurfer. Nachts fällt die Temperatur nicht selten auf minus 25 Grad Celsius oder tiefer. „Da muss man schon wissen, was man tut – und sehr fokussiert auf das Wesentliche bleiben“, sagt Dr. Susanne Ozegowski.
Das groĂźe Foto in ihrem Arbeitszimmer erinnert die begeisterte Wanderin an jene Touren im Norden Europas, zu denen sie frĂĽher gern aufgebrochen ist. Inzwischen kommt sie dazu nicht mehr, sitzt stattdessen in einem wohl temperierten BĂĽro des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) in der Berliner FriedrichstraĂźe, den benachbarten Friedrichstadtpalast im Blick. Aufregend und fordernd ist es dennoch auch hier fĂĽr die gebĂĽrtige Berlinerin. Von diesem BĂĽro aus steuert sie ein Mammutprojekt des deutschen Gesundheitswesens. Sie soll dessen Digitalisierung endlich voranbringen, so der anspruchsvolle Auftrag ihres scheidenden Chefs Prof. Karl Lauterbach (SPD).
Die Herausforderung reizt sie
Als der Minister sie Anfang 2022 fragt, ob sie den Job haben will, „wusste ich sofort: Das will ich auf jeden Fall machen.“, erzählt sie, als kma sie in ihrem BĂĽro besucht. Die Einrichtung ihres Arbeitszimmers erzählt dabei indirekt auch ein wenig ĂĽber das Arbeitsverständnis der Abteilungsleiterin. In dem groĂźen Zimmer mit der riesigen Fensterfront zur FriedrichstraĂźe dominieren helle Holzmöbel, der Schreibtisch ist akkurat aufgeräumt, bis auf drei Fotos hinter ihrem Arbeitsplatz sind keine persönlichen Gegenstände zu entdecken. Warm im Ton, aber kĂĽhl und konzentriert in der Sache. Die Botschaft: BloĂź nicht abschweifen, bei der Sache bleiben, eben „fokussiert bleiben“ – wie damals in der Hardangervidda.Â
Ich habe SpaĂź daran, selbst mitzugestalten. Â
Wenige Wochen nach Lauterbachs Anfrage wird sie Anfang April 2022 Leiterin der Abteilung V „Digitalisierung und Innovation“ im BMG, einer damals noch jungen Abteilung, die erst 2018 durch Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) ins Leben gerufen worden war. Spahn versuchte mit der Gründung der Abteilung der schleppenden Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens neues Leben einzuhauchen. Ihr endlich jene Priorität und Wichtigkeit zu geben, die die Branchenlobbyisten in ihrem Dauerclinch aus den Augen verloren hatten.
Gottfried Ludewig, erster Leiter der neuen Abteilung und Ozegowskis Vorgänger, schiebt in seiner Amtszeit viele Dinge bereits an. Er initiiert das KHZG mit, gründet den Health Innovation Hub (hih) als digitale Ideenschmiede und forciert eine neue, „digitale“ Denkweise im Gesundheitswesen. Doch dann kommt 2020 Corona, für die Digitalisierung ein Segen und Fluch zugleich. Ein Segen, weil die Ausnahmesituation der Pandemie plötzlich allen vor Augen führt, welche Vorteile die Digitalisierung der Krankenhäuser und Arztpraxen hat. Corona stößt endgültig ein Umdenken an, gleichzeitig bremst jedoch der Fokus auf die Bewältigung der Pandemie und die Neuwahlen Ende 2021 die weitere Digitalisierung zunächst aus. Mit dem Amtsantritt Lauterbachs ändert sich das, der neue Minister macht die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu einem zentralen Thema seiner Amtszeit.
Zur Person
Dr. Susanne Ozegowski (41) wurde in Berlin geboren und wuchs im Ortsteil Prenzlauer Berg auf. Nach dem Abitur 2003 studierte sie Internationale Beziehungen an der Technischen Universität Dresden. Nach dem Bachelor folgte ein Masterstudium in Kommunikation und Wirtschaft an der UniversitĂ della Svizzera italiana (USI) im schweizerischen Lugano. Danach beriet sie bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) Kunden aus dem Finanz- und Gesundheitswesen. Nach einem weiteren Masterabschluss in Public Health an der Berliner CharitĂ© promovierte sie 2013 an der Technischen Universität Berlin in Public Health. In ihrer Doktorarbeit „Regionale Unterschiede in der ambulanten Versorgung“ untersuchte sie Diskrepanzen zwischen Ă„rzteverteilung und Versorgungsbedarf in ländlichen Regionen. Im Februar 2014 wechselt sie als GeschäftsfĂĽhrerin zum Bundesverband Managed Care (BMC).Â
2017 wechselt Susanne Ozegowski zur Techniker Krankenkasse, wo sie die Leitung des Digitalprojekts „TK Safe“ übernimmt. Im Oktober 2019 wird sie bei der TK zur Leiterin des Geschäftsbereiches Unternehmensentwicklung befördert. Die Gesundheitsmanagerin fällt Prof. Karl Lauterbach auf, der als Gesundheitsminister Ende 2021 Jens Spahn folgt. Lauterbach holt sie ins Bundesgesundheitsministerium und macht sie dort zum 1. April 2022 zur Leiterin der Abteilung „Digitalisierung und Innovation“. Susanne Ozegowski ist verheiratet und Mutter eines Kindes. Da sie ein weiteres Kind erwartet, geht sie zum 6. Februar 2025 in den Mutterschaftsurlaub.
Dafür braucht Lauterbach fähiges und durchsetzungsstarkes Personal, das auch mit den Lobbyinteressen umzugehen weiß. Entscheider, die trotz aller Widerstände „fokussiert“ bleiben. Die beharrlich und zielstrebig schwierige Projekte zu einem positiven Ende bringen. Bei der Kandidatensuche für einen Nachfolger Ludewigs fällt der Blick schnell auf Susanne Ozegowski. Die hatte zuvor in ihrem noch kurzen Berufsleben genau diese Eigenschaften demonstriert. Und war in der männerdominierten Branche auch den Alphamännchen in den Führungsetagen aufgefallen.
Promotion ĂĽber ambulante Versorgung
Schon ihr akademischer Lebenslauf (siehe „Zur Person“) deutet jene Zielgerichtetheit an, die sie später auch im Berufsleben auszeichnen wird. Nach dem Abitur 2003 und einem Bachelor an der TU Dresden in Internationale Beziehungen, zieht es die junge Frau, die im Ost-Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg aufgewachsen ist, ins Ausland. An der Università della Svizzera italiana (USI) im schweizerischen Lugano mit ihren Unterrichtssprachen Italienisch und Englisch erwirbt sie einen Masterabschluss in Kommunikation und Wirtschaft. Danach zieht es Susanne Ozewgowski zunächst in die freie Wirtschaft. Sie berät bei der renommierten internationalen Wirtschaftsberatung Boston Consulting Group Kunden aus dem Finanz- und Gesundheitswesen, ihr Interesse für die Gesundheitsbranche wächst.
Relativ schnell beschließt sie, akademisch in diesem Bereich draufzusatteln. Nach einem weiteren Masterabschluss in Public Health an der Berliner Charité promoviert sie 2013 an der Technischen Universität Berlin in Public Health (öffentliche Gesundheitsversorgung). In ihrer Doktorarbeit „Regionale Unterschiede in der ambulanten Versorgung“ untersucht sie Diskrepanzen zwischen Ärzteverteilung und Versorgungsbedarf in ländlichen Regionen.
„Schuld“ am Thema ihrer Doktorarbeit sei ihr Großvater in der brandenburgischen Uckermark, erzählt sie lachend. Es ist eine wunderschöne Gegend im Norden Brandenburgs, allerdings hat die ländliche Idylle auch einen Haken. Die Gesundheitsversorgung in der Region fällt genauso spärlich aus wie die Besiedelung. „Mein Opa hat sich, bevor er zum Orthopäden ging, erst mal eine Stulle geschmiert. Weil er wusste, dass er sechs Stunden im Wartezimmer sitzen wird“, erinnert sich Ozegowski. Flugs entsteht die Idee, doch einmal genauer zu untersuchen, wie man ambulante Versorgung in solchen Regionen besser organisiert und medizinische Versorgung in die Fläche bringt.
Freundlich im Stil, hart in der Sache
Susanne Ozegowski ist begeisterte Radfahrerin und radelt jeden Morgen zur Arbeit, auch im Winter. Sie zeigt nach drauĂźen auf die belebte FriedrichstraĂźe. „Wie schaffen wir es wirklich, die Versorgung fĂĽr die Menschen, die hier gerade unten auf der StraĂźe vorbeilaufen, besser zu machen?“ Das könnte man vorschnell als das ĂĽbliche Anwerfen der Phrasendreschmaschine einer politischen Beamtin fehldeuten. SchlieĂźlich tragen alle Gesundheitsmanager oder Ă„rzte die Botschaft „immer nur das Wohl des Patienten“ im Blick zu haben, wie ein Mantra vor sich her.Â
Bei Susanne Ozegowski wird im Gespräch schnell klar: Sie will im erstarrten deutschen Gesundheitswesen tatsächlich etwas verändern, nicht nur den Status quo verwalten. Schnell fällt eine weitere Vokabel, die viel über ihr Selbstverständnis erzählt. Sie wolle nicht nur „an der Seitenlinie stehen“ und die Diskussion begleiten. „Ich habe Spaß daran, selbst mitzugestalten.“
Zu den ersten, denen Ozegowskis Talent auffällt, zählt Prof. Volker Amelung. Der damalige Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Managed Care (BMC) macht die junge Beraterin Anfang 2014 zur Geschäftsführerin des Verbandes. Damit sei er ein „totales Risiko“ eingegangen, sagt sie rückblickend. Einer jungen Frau aus der Beraterbranche diese Führungsposition zu geben, obwohl sie zu dem Zeitpunkt weder im Gesundheitswesen gearbeitet noch bis dahin eine Führungsposition innehatte, zeuge vom großen Vertrauensvorschuss, den Amelung entgegengebracht habe. „Er hat einfach gesagt, dass die das kann.“ Wie sich herausstellen sollte, lag der Ökonom mit dieser Einschätzung richtig.
 Der Fokus in unserer Abteilung liegt derzeit stark auf der Umsetzung der elektronischen Patientenakte und des Forschungsdatenzentrums.Â
Während ihrer Zeit beim BMC kommt sie erstmals direkt mit den Themen E-Health und Digitalisierung in Berührung – und den bislang ungenutzten innovativen Möglichkeiten für die Gesundheitsversorgung, wie sie schnell erkennt. So kann Dr. Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, sie 2017 schließlich mit einem Digitalprojekt zu der Krankenkasse locken. Dort übernimmt sie die Projektführung zur Entwicklung von „TK Safe“, der elektronischen Patientenakte der Techniker Krankenkasse. Es ist die Geburtsstunde der „digitalen“ Gesundheitsmanagerin Susanne Ozegowski.
Sprung ins kalte Wasser
Der Wechsel führt sie aus dem wohltemperierten Büro direkt in den „Maschinenraum“, wie sie selbst in einer Metapher den kleinen Kulturschock zu Beginn ihrer TK-Tätigkeit beschreibt. Mit Maschinenraum meint sie das Großraumbüro, wo damals rund 40 Mitarbeitende gemeinsam an der digitalen Akte werkeln. Entwickler, UX-Designer, IT-Spezialisten und andere Fachkräfte entwickeln gemeinsam das Projekt, ganz im Stil der Entwicklungsabteilungen in großen IT-Unternehmen. Für die Berlinerin ist es ein Sprung ins kalte Wasser. Am Anfang gibt es so manches Gespräch, wo sie als einzige Frau den vielen männlichen Tekkies lauscht und versucht, sich aus deren Fachkauderwelsch „ein eigenes Bild zu bauen“. Auch die Arbeitsweise ist neu für Susanne Ozegowski – und begeistert sie. „Das war supercool, es herrschte ein toller Team-Spirit.“ Von dem Netzwerk, das damals entstanden sei, profitiere sie noch heute.
Hat die Arbeit mit Technikgurus sie zum Nerd gemacht? Sie lacht und winkt ab. Sie sei keine Informatikerin und wolle das auch nicht werden. Allerdings sei das gar nicht notwendig. Wichtig ist fĂĽr sie, ein Grundverständnis zu entwickeln und zu verstehen, worĂĽber die Spezialisten gerade reden. Um zu erkennen, an welchen wesentlichen Stellhebeln gedreht werden muss. „DafĂĽr war die Zeit im Maschinenraum eine super Ausbildung“, so ihr Urteil.Â
Sowohl die Gesundheits- wie die IT-Branche werden in den Führungspositionen immer noch von Männern dominiert. Frauen sind weiterhin in der Minderheit, noch immer sind sie an den Stellhebeln der Macht selten vertreten. Gern und schnell steht in der öffentlichen Debatte der Vorwurf von Benachteiligung, gar von Diskriminierung im Raum. Es ist Susanne Ozegowski anzumerken, dass solche Diskussionen ihr nicht behagen. Für ihre eigene Karriere habe das keine Rolle gespielt, schildert sie. Vorbehalte oder sogar eine Benachteiligung als Frau nehme sie nur selten wahr, sagt sie etwas schmallippig, sie möchte über ihre Arbeit beurteilt werden, nicht über ihr Geschlecht.
Corona-Krise als Chance
Das Projekt läuft so gut, dass die TK sie 2019 zur Leiterin des Geschäftsbereiches Unternehmensentwicklung macht. In dieser Zeit baut sie ihr Netzwerk in der Gesundheitsbranche und auch in die Bundespolitik kontinuierlich aus, auch in die SPD hinein. Das sollte sich auszahlen, zum Jahreswechsel 2022 kommt die Anfrage von Karl Lauterbach. Ein paar Wochen später sie ist Leiterin der Abteilung V „Digitalisierung und Innovation“ im BMG – und verlässt damit endgültig die Seitenlinie.
Anfangs gibt es noch kurze Momente des Zweifelns. Zum Zeitpunkt der Berufung ist sie junge Mutter, ihr erstes Kind noch nicht einmal acht Monate alt. „Damals dachte ich, das ist verdammt noch mal der blödeste Augenblick für so eine Anfrage.“ Es werden kurze Momente bleiben. Sie weiß, welche Gestaltungsmöglichkeiten dieser Abteilungsleiterposten im BMG bietet. „Das fand ich spannend und attraktiv.“ So sagt sie schließlich zu, auch weil sie um die Unterstützung ihres Mannes weiß.
Zudem legt sie sich für ihre Tätigkeit im Ministerium selbst einige strikte Regeln auf. Maximal zwei Abende in der Arbeitswoche erlaubt sie sich, nicht zum Abendessen bei der Familie zu sein. Die restlichen Tage will sie spätestens um 18 Uhr daheim sein, einen Tag in der Woche holt sie ihr Kind um 15:30 Uhr aus der Kita ab. Für diese Regeln lasse sie manchen interessanten Termin sausen, räumt sie ein. Dennoch: Die Balance zwischen Arbeit und Familie ist ihr wichtiger. „Das hilft mir auch, zu priorisieren“, bekräftigt die 41-Jährige. Im Ministerium führt das zu Beginn offenbar bei einigen Mitarbeitenden zu Stirnrunzeln, dort ist man gewohnt, dass Führungskräfte bis spät in die Nacht am Schreibtisch sitzen. Ihre Sache ist das nicht. Wichtig ist ihr das Ergebnis, nicht die Qualität des Sitzfleisches.
Ihr neuer Chef Karl Lauterbach drückt beim Thema Digitalisierung des Gesundheitswesens aufs Tempo, verlangt eine konkrete Digitalisierungsstrategie und vor allem die zügige Umsetzung zentraler Vorhaben, besonders des Dauersorgenkinds elektronische Patientenakte. Sie sollen endlich in die Regelversorgung kommen. Im Ministerium, schon aus Spahns Zeiten an enormen Zeitdruck bei Gesetzesvorhaben gewöhnt, rauchen fortan die Köpfe. Im März 2023 stellt das BMG eine Digitalisierungsstrategie mit einem ambitionierten Zeitplan vor. Die Vision ist, bis 2030 ein „digitales Gesundheitsökosystem“ zu schaffen. Das Problem: Solche Visionen hatten schon Lauterbachs Amtsvorgänger, die Anfänge der ePA gehen bis ins Jahr 2003 zurück. Passiert ist wenig – und wenn, blieb vieles Stückwerk, durchlöchert von Partikularinteressen verschiedener Lobbygruppen.
Lob aus der Branche
Lauterbach und Ozegowski wollen das nicht länger hinnehmen. Beide versuchen zwar, alle Akteure im Gesundheitswesen mit ins Boot zu holen. Noch länger ausbremsen lassen wollen sie sich jedoch nicht mehr. Kritik darf und soll gern sein, aber bitte zielgerichtet auf eine Umsetzung. Beharrlich bleiben und das Ziel und den gewünschten Zeitplan im Blick behalten, auch wenn Probleme auftreten, könnte man das imaginäre Mantra der Abteilungsleiterin beschreiben. Das gefällt nicht jedem in der Branche, aber das Vorgehen spricht sich herum. „Es ist der Beharrlichkeit und dem fokussierten Handeln von Susanne Ozegowski zu verdanken, dass die Digitalisierung endlich vorankommt“, lobt Dr. Peter Gocke, CDO der Berliner Charité.
Zentrales Digitalisierungsprojekt ist die Umsetzung der ePA. Voraussetzung für den Neustart sind das „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG) sowie das „Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG), die der Bundestag Ende 2023 beschließt und die beide im März 2024 in Kraft treten.
Mit dem DigiG wird die Einführung der ePA zum 15. Januar 2025 festgelegt, zugleich wird mit der neuen Opt-out-Lösung – also der Widerspruchsmöglichkeit gegen die Anlage der ePA – ein zentraler Kritikpunkt der Warner abgeräumt. Ergänzt wird das DigiG durch das GDNG, das den Umgang mit Gesundheitsdaten für die medizinische Forschung regelt.
Die ePA muss sicher und stabil sein
Susanne Ozegowski glaubt fest daran, dass sich viele Debatten um die ePA nach Einführung in den Regelbetrieb erledigen werden. „Diese ePA ist die erste, die funktioniert und die unmittelbar einen Nutzen für die Patientinnen und Patienten und auch für die Ärztinnen und Ärzte bringt.“ Umso wichtiger ist, dass die Erprobung der ePA in drei Modellregionen am 15. Januar gestartet ist und die Umsetzung die quälenden Diskussionen über Datenschutz und Datensicherheit überlagert.
Vor Nackenschlägen ist das Projekt weiterhin nicht gefeit. Ende Dezember 2024 legten Hacker auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs Sicherheitslücken in der ePA offen, die ihren Chef alarmierten. Das Thema Datensicherheit ist eine der Achillesfersen der ePA, ohne ausreichende Sicherheit gibt es keine dauerhafte Akzeptanz. Susanne Ozegowski und alle Verantwortlichen sind sich der Problematik durchaus bewusst. „Die Kunst ist es daher, eine Balance zu finden zwischen größtmöglicher Sicherheit auf der einen Seite und Nutzerfreundlichkeit und Betriebsstabilität auf der anderen Seite“, schildert sie den anspruchsvollen Ritt auf der Rasierklinge.
Umsetzung wird Jahre dauern
Ganz en passant beschreibt sie so beiläufig die zweite Achillesferse der ePA. „Die Betriebsstabilität ist ein ganz wichtiger Punkt für die Akzeptanz in der Ärzteschaft“, weiß sie. „Ich wäre auch genervt, wenn ich Arzt in einer Praxis wäre und es jeden Morgen für mich unklar ist, ob die Akte funktioniert oder nicht.“ Sicher muss die ePA also sein, nutzerfreundlich und zugleich sinnvollen Mehrwert bieten für Patienten und das medizinische Personal. Und das auf der Basis eines wuchernden Wildwuchses von Insellösungen und Anbietern bei Kassen, Kliniken und Praxen. Angesichts dieser Gemengelage heißt es, kühlen Kopf zu bewahren.
Die Betriebsstabilität ist ein ganz wichtiger Punkt für die Akzeptanz in der Ärzteschaft.
Wie fragil die Telematikinfrastruktur derzeit noch ist, legte der problembehaftete Start des elektronischen Rezepts im vergangenen Jahr offen. Der habe gezeigt, dass „die Telematikinfrastruktur nicht die Betriebsstabilität hat, die sie bräuchte“, sagt Ozegowski. Um bestimmte Standards besser durchsetzen zu können, hätte sich Susanne Ozegowski mehr Möglichkeiten und Durchgriffsrechte für die Gematik gewünscht, um gezielter Einfluss nehmen zu können. Das geplante Digitalagenturgesetz ist aber quasi auf der Zielgeraden ein Opfer des Ampel-Debakels geworden. Wiedervorlage ungewiss. Ohnehin wird das Vorhaben ePA alle Beteiligten noch für viele Jahre beschäftigen.
Die aktuelle digitale Akte bleibt zunächst ein RumpfgerĂĽst, größtes Pfund ist die Medikation und die Entlassdokumentation. Andere Daten können vorerst nur unstrukturiert als PDF eingelesen werden, wie zum Beispiel Labordaten. „Auch der erste Schritt mit unstrukturierten Dokumenten ist ein echter Mehrwert in der Versorgung, um nicht mehr Befunden hinterher telefonieren zu mĂĽssen. In der Zukunft geht es aber um weitere strukturierte Daten, um beispielsweise auch Verlaufskurven von Labordaten anzeigen lassen zu können“, sagt Susanne Ozegowski. Auch die von Ă„rzten geforderte Möglichkeit, medizinische Bildgebungsdaten digital auf der ePA abzulegen, verzögert sich. Zunächst ist das nur als PDF möglich.Â
Die Umsetzung aller Punkte für die ePA wird uns noch Jahre beschäftigen. Es ist aus meiner Sicht ein Projekt, was sich permanent weiterentwickeln muss und weiterwachsen wird.
Es bleibt in den nächsten Jahren viel zu tun. „Mit einer Roadmap für die ePA bekommen wir die 20er-Jahre noch gut gefüllt. Es ist aus meiner Sicht ein Projekt, was sich permanent weiterentwickeln muss und weiterwachsen wird “, prophezeit die Digitalisierungsexpertin. Nur ob sie dann noch auf dem Spielfeld steht, ist offen.
Ab dem 6. Februar räumt sie ihren Posten im Ministerium, zunächst zeitweise wie sie sagt. Nicht aus politischen, sondern aus familiären Gründen. Bei ihr kündigt sich weiterer Nachwuchs an, ab dem Datum geht sie in den Mutterschutz. Und danach? Interessant wird sein, ob es nach Mutterschutz und den Bundestagswahlen für sie im BMG eine Zukunft gibt. Das BMG könnte in der neuen Regierung an die CDU gehen. Als politische Beamtin, die auf SPD-Ticket ins Ministerium gerückt ist, könnte ihr Job dann auf der Kippe stehen. Sie selbst würde gern weiter machen, „Ich könnte mir das gut vorstellen“, sagt sie. Falls nicht, findet sich für eine energische Digitalisierungsexpertin sicher ein Job.
Quelle: Guntram Doelfs 2025. Thieme
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