In den Unternehmen zieht eine neue Duz-Kultur ein. Neuestes Beispiel ist der Asklepios Konzern, dessen FĂŒhrungsriege im Mai beschlossen hat, das Unternehmens-Du als neuen internen Standard zu etablieren. Doch das Vorgehen gefĂ€llt nicht jedem.
Wenn sie eines nicht leiden kann, dann ist es, ungefragt geduzt zu werden. Isabel Garcia, Kommunikations- und Rhetoriktrainerin, wehrt sich dagegen, von Menschen mit Du angesprochen zu werden, die sie nicht nĂ€her kennt: âIch bekomme mittlerweile Anfragen von Unternehmensberatern, die mich sofort duzen, weil das in der Szene wohl so gemacht wirdâ, beschwert sie sich (âDie Bessersprecherâ, Campus). Das wirke international, denken sich wohl die Kontaktsuchenden, im Englischen werde ja auch geduzt. Und: Es soll gleich eine gewisse NĂ€he hergestellt werden. âIch mag das Du, ich mag NĂ€heâ, bekrĂ€ftigt Garcia, die auch als Radiomoderatorin gearbeitet hat. Doch eine kĂŒnstlich hergestellte âPseudo-NĂ€heâ, wie sie es ausdrĂŒckt, sei ihr unangenehm.
Der Trend in Deutschland indes entwickelt sich gegen sie und ihre Befindlichkeit. Nicht nur in der Coachingszene oder der Medienbranche, auch auf Unternehmensfluren eigentlich konservativer Branchen zieht eine neue Duz-Kultur ein. In der hinter Lidl stehenden Schwarz-Gruppe etwa oder auch bei Otto, dem traditionellen Hamburger Versandhaus. Auch bei BMW heftete 2018 ein findiger Mitarbeiter seiner E-Mail-Signatur das Hashtag #gernperDu an, um zu signalisieren, wie er angesprochen werden wolle. Eine kleine Idee nur, deren Funke aber sofort ĂŒbersprang. Erst auf andere Abteilungen, dann auf andere Firmen: BSH HausgerĂ€te ĂŒbernahm die Aktion, und auch in den internen E-Mails von Continental oder der Allianz laden Mitarbeitende NachrichtenempfĂ€nger nun beherzt ein: #gernperDu.
Asklepios: âGroĂer Change fĂŒr die interne Kommunikationâ
SchlieĂlich erreichte der Funke Kai Hankeln, CEO des Krankenhauskonzerns Asklepios. Die FĂŒhrungsriege der Klinikkette beschloss Mitte Mai, intern das âDuâ als neuen kommunikativen Standard einzufĂŒhren; auch der Vorstand selbst wolle seinen Mitarbeitenden das Du anbieten. Ja, das sei ein ganz schön âgroĂer Change fĂŒr die interne Kommunikation in einer ursprĂŒnglich hierarchischen Branche wie unsererâ, bestĂ€tigt der Konzern. Vor Jahren hatte sich Asklepios-GrĂŒnder Bernard groĂe Broermann noch in einem Hausmagazin dafĂŒr ausgesprochen, die FĂŒhrungskrĂ€fte seines Hauses mögen ihre ânachgeordneten Mitarbeiterâ doch bitte siezen, auch wenn das âdem gewandelten Zeitgeistâ widerspreche. Alles andere lasse schnell auf Cliquenwirtschaft und Vorzugsbehandlung schlieĂen. âGerade in kritischen Phasen kann man per âSieâ auch im persönlichen Umgang bestehenâ, schrieb der FirmengrĂŒnder und -gesellschafter.
Nun kommt es also doch: das groĂe Duzen. âGib mir mal das Skalpellâ, âSchick mir bitte den Laborberichtâ, könnte es jetzt hĂ€ufiger in den bundesweit 170 Einrichtungen des Betreibers heiĂen. Aber eben auch: âKommâ doch nĂ€chste Woche zum PersonalgesprĂ€ch in mein BĂŒroâ oder: âDu, ich möchte mit Dir ĂŒber meine Beförderung sprechen.â Laut Konzern passe die nun âweniger förmliche Anredeâ gut zum Unternehmen, das ohnehin auf Teamwork, flacher werdende Hierarchien und moderne Prozesse setze. Asklepios-Vorstandsmitglied Sara Sheikhzadeh spricht sogar davon, das âGemeinschaftsgefĂŒhlâ dadurch in ihrem Haus ânoch mal ganz neu aufblĂŒhen lassenâ zu wollen.
Trend geht zu mehr WertschĂ€tzung fĂŒr Mitarbeitende
TatsĂ€chlich sei das neue Du im Arbeitsleben nicht ungewöhnlich, sagt Lara Luisa Eder. Die Psychologin hat sich auf Kliniken und Pflegeheime spezialisiert, berĂ€t FĂŒhrungskrĂ€fte in Teambuilding und Organisationsentwicklung. FĂŒr sie spiegele das Vorgehen von Asklepios zunĂ€chst einmal einen begrĂŒĂenswerten Trend in der Arbeitswelt wider: âViele Unternehmen setzen sich gerade damit auseinander, wie Mitarbeitende sich stĂ€rker wertgeschĂ€tzt fĂŒhlen können.â Doch: Ob das Du der richtige Ansatz ist, bezweifelt sie: âNur weil mich eine andere Person duzt, heiĂt das noch lange nicht, dass sie mir auf Augenhöhe begegnet.âÂ
Trotzdem fĂŒhlten sich Einzelne nicht als Teil der Gruppe.Â
Das habe sie selber erst kĂŒrzlich erlebt, wie sie gegenĂŒber kma erzĂ€hlt: Die Coachin war beauftragt worden, auf einer Klinikstation mit einer Gruppe aus PflegekrĂ€ften und ĂrztInnen an deren Teamwork zu arbeiten. AuffĂ€llig dabei: Alle duzten sich. Doch Eder registrierte schnell Spannungen in der Zusammenarbeit, einen Mangel an âKontakt auf Augenhöheâ, wie sie es formuliert. âDas zeigte sich zum Beispiel daran, dass die Ărztinnen und Ărzte die Pflegenden nicht haben aussprechen lassen.â Mehr noch: âSie haben die PflegekrĂ€fte sogar vor Patienten zurechtgewiesen.â Auch hĂ€tten sich die Ărzte in GrĂŒppchen zusammengestellt und den Pflegenden dabei den RĂŒcken zugewandt. All das passiere natĂŒrlich nicht immer bewusst oder werde gar gezielt als Machtmittel eingesetzt, sagt Eder. âTrotzdem fĂŒhrt es dazu, dass sich Einzelne nicht als Teil der Gruppe fĂŒhlen.â Und das Du? Hatte hier keinerlei Nutzen, keinerlei Auswirkung aufs Wir-GefĂŒhl.
Ein Krankenhaus ist doch kein Apple-Store
Die Resonanz auf den Asklepios-VorstoĂ fĂ€llt denn auch recht gemischt aus: Manche Angestellten begrĂŒĂen den VorstoĂ auf LinkedIn ausdrĂŒcklich: âMega coolâ, heiĂt es etwa aus der unternehmenseigenen IT-Service-Gesellschaft. âDer Wandel zur Duz-Kultur erleichtert die Kommunikation sehrâ, kommentiert eine interne Social-Media-Beauftragte. Ein hessischer Asklepios-Klinikmanager berichtet, er habe sich als Pflegekraft mit dem Du in Arzt-Pflege-Teams schon immer âsehr wohl gefĂŒhltâ. Gesiezt wurden lediglich die KollegInnen aus Verwaltung und Management, mit dem Effekt, dass diese nie wirklich als Teil des Teams wahrgenommen worden seien. Der Wandel zum grundsĂ€tzlichen Du freue ihn daher und sei ein âstarkes Signalâ an âdie KollegInnen am Patientenbettâ.
Doch unter das positive Feedback mischen sich eben auch Gegenstimmen, Zweifel: Ob denn das Du angebracht sei in einer Branche, in der es hĂ€ufig an âWertschĂ€tzung zwischen den beteiligten Berufsgruppenâ mangele, wird etwa gefragt. Ein Asklepios-Chefarzt aus Hamburg-Harburg findet gar den Mut, seinem Vorstandschef Kai Hankeln auf LinkedIn freundlich, aber per Sie zu entgegnen: Er bleibe vorerst beim Sie; das gehöre fĂŒr ihn zu einem respektvollen Umgang mit PatientInnen und Mitarbeitenden dazu. Und er ergĂ€nzt: âSchlieĂlich ist ein Krankenhaus kein Apple-Store.â
Studie: Mitarbeitende wollen selbst ĂŒber Anrede entscheiden
Duzen oder Siezen am Arbeitsplatz? Die Frage beschĂ€ftigt mittlerweile auch die Wissenschaft: An der Hochschule OsnabrĂŒck forscht Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning zur neuen beruflichen Duz-Kultur. Er sagt: Unternehmen, die dazu ĂŒbergingen, Mitarbeitende â aber auch Kunden oder gar Bewerber â zu duzen, liefen âin die falsche Richtungâ. Vor ein paar Jahren haben er und sein Team etwa 1200 ArbeitnehmerInnen zu ihren Einstellungen gegenĂŒber dem Duzen im beruflichen Alltag befragt. Ein Teilergebnis: MĂŒssten sich die Arbeitnehmer zwischen einem verordneten Du oder einem verordneten Sie entscheiden, gewinnt, mit einem kleinen Vorsprung, die kumpelhafte Anrede.
Doch der deutlichere Befund der Umfrage ist der folgende: Der gröĂte Teil der Befragten lehnte eine Vorgabe darĂŒber, ob in ihrem Unternehmen grundsĂ€tzlich geduzt oder gesiezt werde, ab. Sie wollten selbst entscheiden, wie sie ihre KollegInnen oder Vorgesetzten ansprechen â oder von ihnen angesprochen werden wollen. Das Alter oder die Position im Unternehmen spielte dabei ĂŒbrigens kaum eine Rolle. Unternehmen tĂ€ten also gut daran, die Mitarbeiter zunĂ€chst zu fragen, was sie denn wollen, bevor sie ihnen eine âKultur ĂŒberstĂŒlpenâ, so Kanning, der die Studie im YouTube-Kanal seiner Hochschule vorstellt.Â
GrundsĂ€tzlich ist und bleibt die Form der Anrede eine freiwillige Entscheidung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.Â
Hat man also bei Asklepios vor dem Start der Duz-Kampagne die WĂŒnsche der Mitarbeitenden ordentlich abgeklopft? Und: Wie wird der neue Standard ĂŒberhaupt eingefĂŒhrt? Eine Interviewanfrage dazu nahm Kai Hankeln aus TermingrĂŒnden nicht an, auch schriftlich nachgereichte Fragen zur neuen Duz-Kultur wollte das Unternehmen nicht beantworten. Doch eines ist dem Unternehmenssprecher wichtig zu betonen: âGrundsĂ€tzlich ist und bleibt die Form der Anrede eine freiwillige Entscheidung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.â Auch auf LinkedIn versichert Asklepios: Alle, die âweiterhin lieber gesiezt werden wollen, können das im Team kommunizierenâ.
Dem Du entkommt man nur per Opt-out
Aber genau in dieser Formulierung schwingt auch mit: Das Du ist der neue Grundmodus. Wer es anders handhaben, also bei der förmlichen Anrede bleiben möchte, muss dafĂŒr eintreten, es mitteilen; dem allgemeinen Du entkommt er nur per Opt-out-Verfahren, einem â im Zweifel mutigen â â#bitteperSieâ. Das mag ein Chefarzt aus Hamburg-Harburg noch ohne groĂe MĂŒhe gegenĂŒber seinen Mitarbeitenden durchsetzen können. Was aber, wenn der Pförtner, die Reinigungskraft nicht geduzt werden möchte? Das einzelne Teammitglied sich unwohl fĂŒhlt, wenn alle zum Du ĂŒbergehen, die Person selbst aber ein Du ihrem Chef oder Kollegen gegenĂŒber nicht ĂŒber die Lippen bringt?Â
Eine Du-Kultur impliziert nicht automatisch vertrauensvolles Teamwork auf Augenhöhe.
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Lara Luisa Eder rĂ€t in solchen Situationen dazu, im Team in den Austausch zu gehen. âGemeinsam sollte man sich dann ĂŒberlegen, was es in der Zusammenarbeit braucht, damit das âduâ vielleicht doch möglich wird. Sich also die Frage stellen: Wie wollen wir hier eigentlich miteinander arbeiten? Was ist uns wichtig? Wie kann die Zusammenarbeit zur Entlastung statt zur Belastung werden?â HĂ€ufig zeige sich dann, dass es fĂŒr ein gutes Miteinander eben mehr braucht als nur die kumpelige Ansprache. Wenn Eder fĂŒr ihre Coachingarbeit auf den Krankenhausstationen unterwegs ist, erlebe sie jedenfalls immer wieder beide PhĂ€nomene: âEine Du-Kultur impliziert nicht automatisch vertrauensvolles Teamwork auf Augenhöhe. Und eine Sie-Kultur drĂŒckt nicht automatisch Hierarchie und MachtausĂŒbung aus.â
In ihrer Radioshow, die sie moderierte, bevor sie sich als Kommunikationstrainerin etablierte, war Isabel Garcia ĂŒbrigens konstant bei der förmlichen Anrede geblieben. Bis heute siezt sie Podcasthörer oder spricht HörbĂŒcher mit einem Sie ein. âTrotzdem wird mir hĂ€ufig gesagt, dass ich NĂ€he aufbaue.â
Quelle: Romy König (Freie Journalistin) 2023. Thieme
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