Regierungskommission – Tausende Tote in Kliniken wären vermeidbar

Würde sich Patientenversorgung zukünftig auf Kliniken mit hohen medizinischen Qualitätsstandards konzentrieren, könnten viele Todesfälle vermieden werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Potenzialanalyse der Regierungskommission zur Krankenhausreform.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (l.) und Prof. Christian Karagiannidis bei der Vorstellung der Studie.

Tausende Todesfälle wegen Schlaganfällen und Krebs wären laut einer neuen Analyse vermeidbar. Die komplexen Behandlungen müssten dafür ausschließlich in spezialisierten Kliniken gemacht werden.

In der Studie zur Krankenhausreform wurden exemplarisch drei Fallbeispiele genauer unter die Lupe genommen. So würden laut der Untersuchung nahezu 5000 Menschen pro Jahr einen Schlaganfall überleben, wenn sie rechtzeitig in ein Krankenhaushaus mit einer Stroke Unit eingeliefert worden wären. Im Jahr 2021 verfügten bundesweit 328 Krankenhäuser über eine Stroke Unit, aber mehr als 1000 Kliniken „rechneten einen Schlaganfall ab“, erläuterte der Leiter der Regierungskommission, Prof. Tom Bschor, bei der Vorstellung der Potenzialanalyse in einem Hörsaal des Unfallkrankenhauses Berlin (ukb).

Da Zeit ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Behandlung von Schlaganfallpatienten ist, ist auch die Fahrzeit zum Krankhaus wichtig. Hier zeigte sich, dass sich die durchschnittliche Fahrzeit insgesamt nur um 1,8 Minuten verlängern würde, wenn die Patienten gleich in ein Haus mit einer Stroke Unit gefahren würden. Die minimal längere Fahrzeit wird aber durch die höhere medizinische Behandlungsqualität in den spezialisierten Häusern mehr als aufgewogen, so die Experten.

Krebskranke würden profitieren

Der zweite untersuchte Bereich waren die häufigsten elf Krebserkrankungen. Würden alle Krebspatienten zur Erstbehandlung in zertifizierten Krebszentren versorgt, könnten pro Jahr 20 404 Lebensjahre gerettet werden. Brustkrebspatientinnen haben laut Analyse einen fast 25 Prozent höheren Überlebensvorteil bei Erstbehandlung in einem zertifizierten Zentrum. „Kein Mensch mit einer ernsthaften Krebserkrankung würden eine gute medizinische Behandlung von wenigen Minuten mehr Fahrzeit abhängig machen“, urteilte Notfallmediziner Prof. Christian Karagiannidis.

Auch im Bereich Endoprothetik fällt die Bilanz nicht gut aus. Nur jede dritte Klinik, die Hüft- oder Kniegelenkoperationen durchführt, bringt gegenwärtig genug Erfahrung (mindestens 150 Operationen pro Jahr) dafür mit. „Über 1000 Kliniken haben solche Operationen abgerechnet, dabei sind viele OPs überhaupt nicht notwendig gewesen“, so Bschor.

Medizinische Qualität entscheidet

Die Botschaft der Potenzialanalyse in Hinblick auf die geplante Krankenhausreform ist also, dass sich die Reform entscheidend an der Frage der medizinischen Qualität der Häuser orientieren muss. „Wir haben in Deutschland klare Qualitätsdefizite“, sagte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) bei der Vorstellung der Studie. Die Bundesregierung werde deshalb bei den aktuellen Verhandlungen mit den Ländern „keinerlei Kompromisse“ bei der medizinischen Behandlungsqualität machen, kündigte er an. Künftig werde der Bund nicht mehr zahlen, wenn Häuser Qualitätsvorgaben nicht erfüllen würden. „Der Bund bezahlt nur noch für Qualität, die auch belegt wird“, sagte der Minister. 

Der Bund bezahlt nur noch für Qualität, die auch belegt wird. 

Im Gegensatz zum ersten Entwurf der Regierungskommission sind aktuell die geplanten Level nicht mehr die entscheidende Größe für die Finanzierung, sondern die Qualität der medizinischen Leistung in der jeweiligen Abteilung. „Auch ein Level-2-Haus kann Defizite bei bestimmten Leistungen haben, das müssen wir berücksichtigen“, kündigte der SPD-Politiker an.

Mehr Transparenz für Patienten

Damit Patienten und Krankenhäuser wissen, woran sie sind, soll es zum geplanten Start der Reform am 1. Januar 2024 im Internet abrufbare „Versorgungskarten“ geben. Diese Übersicht zu den Krankenhäusern und ihrer medizinischen Versorgungsqualität schmeckt längst nicht allen Kliniken und Bundesländern, wie der Minister einräumte. Dass möglicherweise in der Übergangsphase im kommenden Jahr auch Krankenhäuser mit guten Qualitätsziffern in die Insolvenz gehen könnten, weil es kein Geld vom Bund mehr gibt, sei bedauerlich, aber dann „ist das eben so“. Die Reform komme wegen der Versäumnisse der vorherigen Bundesregierungen „einfach zu spät“, so Lauterbach. 

Das setzt natürlich die regionale Planung unter Druck.

Einer der noch offenen Streitpunkte mit den Ländern ist offenbar die Frage, wie mit Krankenhäusern verfahren werden soll, die zwar nicht die notwendige medizinische Qualität vorweisen könnten, aber letztlich der einzige Klinikstandort in einem größeren Einzugsgebiet seien. Dafür würden derzeit zeitlich befristete Ausnahmenregelungen diskutiert, um dem Krankenhaus und auch der Lokalpolitik die Chance zu geben, entsprechend nachzubessern. „Das setzt natürlich die regionale Planung unter Druck“, räumte Lauterbach ein.  

Studie zur Krankenhausreform

Die Grundlage der Studie bildeten Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung, Daten aus den Qualitätsberichten der Krankenhäuser sowie Daten von medizinischen Registern und Fachgesellschaften.

Die Analyse wurden unterstützt durch eine Kooperation mit dem GKV-Spitzenverband, dem AOK Bundesverband und dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO). Berücksichtigt wurden die Strukturqualität und die Erreichbarkeit der Häuser.

Heftige Kritik von der DKG

Ob die Länder alle bei der Reform mitziehen werden, ist derzeit noch unklar. Während der Bundesgesundheitsminister den Eindruck erweckte, dass dies inzwischen überwiegend der Fall sei, kam nach der Vorstellung der Potenzialanalyse sofort heftige Kritik vom bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Er kritisierte die Studie als unausgegoren und einseitig: „Die vorgestellten Ergebnisse der Potenzialanalyse halte ich für fragwürdig und ungeachtet dessen nur in Teilen auf Bayern übertragbar. Viele Aussagen in der Analyse sind zu pauschal, als dass sie ohne Weiteres auf die Realität übertragen werden können – oder schlicht falsch.“

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft reagierte gereizt. Die Analyse markiere „einen neuen Tiefpunkt in der politischen Debatte um die Zukunft der Krankenhausversorgung in Deutschland (…). Aus unwissenschaftlichen Analysen abgeleitete plakative Aussagen über vermeidbare Todesfälle bei Krebspatienten und Schlaganfällen sind kein konstruktiver Beitrag zu einer sachlichen politischen Debatte“, teilte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß mit.

Gesetzentwurf bis zum Herbst

Am 29. Juni sollen nun die Eckpunkte der Krankenhausreform beschlossen werden, über den Sommer will das BMG dann den Gesetzentwurf erarbeiten. Noch im Herbst soll der Gesetzgebungsprozess starten, damit die Reform zum Jahreswechsel starten kann. Während Lauterbach optimistisch ist, dass der Termin gehalten werden kann, gibt es unter Klinikexperten und in einigen Bundesländern Zweifel an diesem straffen Zeitplan. Lauterbach und die Mitglieder der Regierungskommission hoffen jedoch, den Termin zu halten. „Wenn die Reform später kommt, geht das eindeutig zu Lasten der Krankenhäuser“, prophezeite der Minister. Auch Prof. Karagiannidis warnte vor weiteren Verzögerungen: „Die Krankenhäuser brauchen schnell Planungssicherheit“.

Quelle: Guntram Doelfs, mit dpa