Rettungsdienst Reform ja, aber bitte mit Änderungen

Einig sind sich alle: Es bedarf einer Notfallreform. DarĂŒber, wie nah die VorschlĂ€ge der Regierungskommission der notwendigen Reform kommen, wird noch diskutiert. Über die Hoffnung auf Vereinheitlichung, faire VergĂŒtung und erweiterte ZustĂ€ndigkeiten.

Volle Notaufnahmen, Personalmangel, steigende Einsatzzahlen und in der Folge lange Warte- und Transportzeiten – eine Reform der Notfallversorgung soll Abhilfe schaffen. Nahezu alle wichtigen Player sowie VerbĂ€nde und Fachgesellschaften begrĂŒĂŸen prinzipiell den Vorstoß des Gesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) aus der vergangenen Woche.

Derzeit gibt es knapp 300 eigene Rettungsdienstbereiche mit rund 240 Leitstellen mit 13 unterschiedlichen Organisationformen – darunter Kommunen, Landkreise, gemeinnĂŒtzige Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK), Johanniter oder Malteser, aber auch private Unternehmen.

Neben dem unĂŒbersichtlichen System und dem Fachkraftmangel liegt eine weitere Ursache fĂŒr die starke Belastung der Rettungsdienste auch in Fehlanreizen bei der Finanzierung der Notfallversorgung. Derzeit bekommen Rettungstransporte in der Regel nur Geld von den Krankenkassen, wenn sie die Patienten auch in ein Krankenhaus transportieren. Eine reine Behandlung vor Ort oder eine Beratung am Telefon wird nicht bezahlt. Das soll sich Ă€ndern – und noch viel mehr.

Notfallversorgung verdient Reform

FĂŒr Prof. Axel Ekkernkamp, Direktor der Klinik fĂŒr Unfallchirurgie und OrthopĂ€die und Ärztlicher Direktor des BG Klinikums Unfallkrankenhaus Berlin (ukb), gehört die Neustrukturierung des Rettungswesens zu den „wichtigsten Vorhaben, um unser Gesundheitswesen fit fĂŒr die Zukunft zu machen“. FĂŒr ihn ist es „uneingeschrĂ€nkt zu begrĂŒĂŸen“, dass die Regierungskommission weitreichende, aber notwendige VerbesserungsvorschlĂ€ge gemacht hat. „Wer im Rettungsdienst arbeitet, weiß, wie hart und herausfordernd die Notfallversorgung ist, wie oft man auch ans Limit kommt. Schon allein deshalb haben es die BeschĂ€ftigten in diesem Bereich verdient, durch diese Reform gefördert und unterstĂŒtzt zu werden“, plĂ€diert der Unfallchirurg und OrthopĂ€de fĂŒr die Reform. 

Wer im Rettungsdienst arbeitet, weiß, wie hart und herausfordernd die Notfallversorgung ist, wie oft man auch ans Limit kommt. 

Auch der Verband der UniversitĂ€tsklinika Deutschlands (VUD) begrĂŒĂŸt die vorgelegten VorschlĂ€ge und sieht die Notwendigkeit, dass die Reform der Notfallversorgung „im Einklang mit der anstehenden Krankenhausreform stehen muss“. VUD-Vorsitzender Prof. Jens Scholz ist sich sicher: „Die KrankenhĂ€user werden von einer Reform der Rettungsdienste profitieren, wenn zukĂŒnftig Patientinnen und Patienten gezielter in die richtige Versorgungsebene geleitet und alle relevanten Patientendaten vorab ĂŒbermittelt werden. Dies gilt auch fĂŒr den notwendigen Anstieg von Verlegungen zwischen KrankenhĂ€usern, der absehbar ist. Daher muss die Reform des Rettungswesens mit der Krankenhausreform zusammen gedacht werden.“ Dennoch gibt es auch leise Kritik und Nachbesserungsbedarf an dem vorgelegten Papier.

Änderungsbedarfe sind vorhanden

Der GKV-Spitzenverband begrĂŒĂŸt die Reform ebenfalls, denn „das deutsche Rettungswesen gleicht einem Flickenteppich“, sagt Vorstandsmitglied Stefanie Stoff-Ahnis. Besonders gut findet der Spitzenverband der Kassen, dass fĂŒr den Rettungsdienst eine bundesweit einheitliche Struktur angestrebt werde, vor allem die geplante Vernetzung der beiden Notfallrufnummern 112 und 116 117 zu einer gemeinsamen Notfallleitstelle und die Vorhaltefinanzierung.

Das sieht die KassenĂ€rztliche Bundesvereinigung (KBV) etwas kritischer. „Hier stimmt schon die Begrifflichkeit nicht, es handelt sich um einen KV-Notdienst und nicht eine KV-Notfallversorgung“, weist KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl hin. Die Notfallversorgung solle aus seiner Sicht der 112 vorbehalten bleiben. Er wĂŒrde die technische Vernetzung der beiden Leitstellen als zielfĂŒhrender sehen, „die im Papier leider nicht angesprochen wird“. 

Wenn es um Menschenleben geht, darf nicht gespart werden. 

WĂ€hrend der GKV-Spitzenverband und die KBV die Reduzierung der Rettungsleitstellen befĂŒrworten, warnt die Gewerkschaft Verdi hingegen, diese Anzahl zu reduzieren: „Wenn es um Menschenleben geht, darf nicht gespart werden“, sagt Bundesvorstandsmitglied Sylvia BĂŒhler. Sie fordert zudem, dass weiterhin die Kosten des Rettungsdienstes vollstĂ€ndig durch die Krankenkassen und die öffentliche Hand refinanziert werden. Der vorgeschlagene Finanzierungsmix aus Vorhaltepauschalen und Leistungsanteil wĂŒrde das Prinzip der Selbstkostendeckung aufweichen und der Entökonomisierung des Gesundheitswesens entgegenlaufen, warnt die Gewerkschaft.

An LösungsvorschlÀgen fehlt es nicht

Stoff-Ahnis fordert die Bundesregierung auf, „möglichst viele bundeseinheitliche Vorgaben zu machen“. Dem gegenĂŒber steht die Forderung des DRK, dass der Rettungsdienst im gleichen Umfang wie bisher Aufgabe der LĂ€nder bleibe. „Die regionalen Versorgungsbedarfe sind auf LĂ€nderebene besser bekannt als auf Bundeseben“, erklĂ€rte DRK-PrĂ€sidentin Gerda Hasselfeldt. Das ist auch nicht verwunderlich, stellt das föderal strukturierte DRK einen der grĂ¶ĂŸten Rettungsdienste in Deutschland.

Die regionalen Versorgungsbedarfe sind auf LĂ€nderebene besser bekannt als auf Bundeseben.

 Das Bayerische Rote Kreuz ist laut eigenen Aussagen einer „der grĂ¶ĂŸten Rettungsdienste in der Bundesrepublik Deutschland und auf dem westeuropĂ€ischen Kontinent“. Es stellt 80 Prozent des Rettungsdienstes im Freistaat. Klar, dass man hier eine zu starke Einmischung des Bundes befĂŒrchtet, auch wenn das DRK/BRK die Initiative als solche begrĂŒĂŸt, um „die hohe und stetig steigende Aus- und Belastung des Rettungsdienstes zu reduzieren“. Eine Lösung liefert eine Sprecherin des BRK auch mit: „Dies könnte unter anderem durch eine StĂ€rkung ambulanter Versorgungsstrukturen, deren höhere VerfĂŒgbarkeit und mehr AufklĂ€rung innerhalb der Bevölkerung erreicht werden.“

Nicht-lebensbedrohliche FĂ€lle in VorschlĂ€gen nicht berĂŒcksichtigt

Stahl gibt seitens der niedergelassenen Ärzte zu bedenken, dass der Anstieg in der Rettungsmedizin vor allem aus dem low-code Bereich komme, wĂ€hrend echte NotfĂ€lle wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Polytraumata zahlenmĂ€ĂŸig vergleichsweise stabil bleiben wĂŒrden. Er bedauert, dass in dem Papier nicht die Frage angesprochen wird, „wie mit dem Zuwachs von nicht-lebensbedrohlichen FĂ€llen umgegangen wird“.

Die KBV hĂ€tte sich eine Betonung einer durchgĂ€ngig angelegten bzw. kompatiblen medizinischen ErsteinschĂ€tzung gewĂŒnscht, beispielsweise einen Hinweis zu neuen Gesundheitsberufsbildern wie dem GemeindenotfallsanitĂ€ter, der in der ambulanten Versorgung besser aufgehĂ€ngt wĂ€re. DRK-PrĂ€sidentin Hasselfeldt sprach sich zudem dafĂŒr aus, dass gerade mit Blick auf die steigenden Einsatzzahlen die EinfĂŒhrung eines „vorbeugenden Rettungsdienstes“ vorangetrieben werde.

Digitalisierung muss kommen

Neben all den neuen VorschlĂ€gen, muss vor allem das dringliche Problem der fehlenden Digitalisierung behoben werden. Marco König, NotfallsanitĂ€ter, Krankenpfleger sowie Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst, bezeichnet im MDR Deutschland als ein „Entwicklungsland“, was die Digitalisierung angeht. KrankenhĂ€user dĂŒrfen immer noch keine Patientendaten per E-Mail versenden, noch heute wĂŒrden Notfalldienste teilweise ihre Protokolle auf Papier schreiben, die dann umstĂ€ndlich digitalisiert werden mĂŒssten.

Ekkernkamp vom ukb sieht die vorgesehene digitale SchnittstellenverknĂŒpfung zwischen Rettungsdienst und klinischer Versorgung als eine wichtige Maßnahme an – genauso wie geplante Maßnahmen zu Transparenz und QualitĂ€tssicherung. „Einheitliche Standards, eine Neuordnung der Zusammenarbeit von Leitstellen und Rettungsdienstbereichen kann gerade auch in lĂ€ndlichen Gebieten und im lĂ€nderĂŒbergreifenden Einsatz die Versorgung von Notfallpatienten deutlich verbessern“, ist er sich sicher. Er weiß, dass interprofessionelles Arbeiten den Berufsalltag der NotfallsanitĂ€terinnen und -sanitĂ€ter weit mehr als bisher bestimmen werde und sieht in einer Weiterqualifizierung im Rahmen von Simulationskursen in prĂ€klinischen Teams die nötigen Voraussetzungen dafĂŒr.

FĂŒr Zusammenarbeit fehlen Ressourcen

Nachholbedarf in Punkto Digitalisierung sehen auch andere. Die Deutsche Gesellschaft fĂŒr Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) verspricht sich von den ReformplĂ€nen, dass „die Notfallmedizin vom Rettungswagen, ĂŒber die Leitstellen bis in die Notaufnahmen komplett und zĂŒgig vernetzt und digitalisiert werden“ und begrĂŒĂŸt diese. Jedoch sieht die DGIIN – ebenso wie das DRK – noch Nachbesserungsbedarf bei der Zusammenarbeit der verschiedenen Einheiten im Bereich des Katastrophenschutzes und fordert, diesen Aspekt zu ergĂ€nzen. 

Die Rettungsdienste mĂŒssen mit ausreichenden Ressourcen fĂŒr solche EinsĂ€tze ausgestattet werden. 

„Die Rettungsdienste mĂŒssen mit ausreichenden Ressourcen fĂŒr solche EinsĂ€tze ausgestattet werden und auch die Luftrettung muss in den Strukturen des Katastrophenschutzes berĂŒcksichtigt werden, um so gut auf ihre Spezialaufgaben wie etwa die Windenrettung vorbereitet zu sein“, erklĂ€rt PrĂ€sident Elect der DGIIN, Prof. Hans-Jörg Busch.

StÀrkung hausÀrztlicher Versorgung

Luftrettung ist das eine, der Kollaps entsteht jedoch, weil die Menschen die Notaufnahmen ĂŒberlaufen oder die 112 wĂ€hlen, weil sie beim KV-Notdienst zu lange warten mĂŒssen. Letztendlich geht es darum, dass die Patientinnen und Patienten kĂŒnftig seltener in die Notaufnahmen gehen und trotzdem insgesamt besser versorgt werden. Daher plĂ€diert DRK-PrĂ€sidentin Hasselfeldt dafĂŒr, die drei SĂ€ulen der Notfallversorgung – Rettungsdienst, Notaufnahme und Ă€rztlicher Bereitschaftsdienst – besser zu verknĂŒpfen.

Das hebt auch das Zentralinstitut fĂŒr die kassenĂ€rztliche Versorgung (Zi) hervor, welches die Bedeutung der Arztpraxen als erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem herausstellt. Wer vermeidbare NotfĂ€lle reduzieren wolle, mĂŒsse in die wohnortnahe haus- und fachĂ€rztliche Grundversorgung investieren, heißt es aus dem Zi.

Es ist kaum verwunderlich, dass die niedergelassenen Ärzte eine engere Abstimmung mit den vertragsĂ€rztlichen Strukturen als notwendig erachten und daher die telefonische ErsteinschĂ€tzung auch dafĂŒr nutzen wollen, Hilfesuchenden, „die nicht im Krankenhaus behandelt werden mĂŒssen, direkt in geeignete Praxen“ zu steuern. Das Zi ist erfreut, dass die bereits vielerorts bestehenden und geplanten Kooperationen zwischen KassenĂ€rztlichen Vereinigungen, Rettungsleitstellen und Rettungsdiensten im Kommissionskonzept anerkannt werden.

BÄK sieht Befugnis Erweiterung kritisch

Einheitliche Vorgaben und Standards fĂŒr eine Mindestausstattung mit Personal und Qualifikation sind ebenfalls Teil der ReformvorschlĂ€ge. So sollen NotfallsanitĂ€ter stĂ€rker qualifiziert werden und somit auch kĂŒnftig mehr tun dĂŒrfen, wie beispielsweise BetĂ€ubungsmittel und andere Medikamente verabreichen oder auch kleinere Behandlungen vor Ort durchfĂŒhren.

Das könnte den Rettungsdienst entlasten, ruft aber die die BundesĂ€rztekammer (BÄK) auf den Plan, die darin faktisch eine Substitution notĂ€rztlicher Leistungen sieht – „und das ausgerechnet im Versorgungsbereich, in dem es oftmals um Leben und Tod geht“, erklĂ€rt ein BÄK-Sprecher gegenĂŒber dem Deutschen Ärzteblatt. Die Gemengelage bleibt schwierig und es gibt noch eine Menge zu tun, nicht nur fĂŒr die Regierungskommission und den Gesundheitsminister.

Quelle: Alexandra Heeser (Freie Journalistin) 2023. Thieme. All rights reserved.

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