Mit Mut und Leidenschaft findet Dr. Nora Schorscher neue Wege, wo andere nur Hürden sehen. Als Projektleiterin am Universitätsklinikum Würzburg treibt sie die Teleintensivmedizin in Bayern voran – und verbindet innovative Technik mit medizinischer Spitzenleistung.
Seit 2021 leitet Dr. Nora Schorscher das Pilotprojekt „Tele-Intensivmedizin in Bayern“. Die Thieme Gruppe hat sie zur Senkrechtstarterin 2024 gekürt.
Wie ein Sprung ins kalte Wasser. So kam es Dr. Nora Schorscher vor, als ihr die Führungsposition angeboten wurde. Ihre bislang erste. Sie sollte dem Pilotprojekt „Tele-Intensivmedizin in Bayern“ neues Leben einhauchen. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universitätskliniken in Bayern unter Federführung des Universitätsklinikums Würzburg (UKW). An der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie ist Nora Schorscher Anästhesistin aus Leidenschaft. Sie sei „ein bisschen ein Adrenalinjunkie“, lautet die Selbstbeschreibung. Die Vielfalt, die ihr Fachbereich bietet, mache für sie den besonderen Reiz aus: Mal fährt sie Notarzteinsätze, besetzt den Intensivtransporter, steht im OP oder führt Aufsicht auf der Intensivstation. Langweilig werden darf es nicht. Sie will Neues sehen, lernen, erfahren.
Teleintensivmedizin? Berührungspunkte gab es damit bis dahin keine. Die neue Aufgabe kam also unerwartet. Andere würde das vielleicht aus dem Takt bringen, Nora Schorscher eher nicht. „Leben ist das, was passiert, während du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu schmieden“, sang schon John Lennon. Die 37-Jährige hat diese Erkenntnis schon lange verinnerlicht. Statt sich eine Zukunft zu erträumen, die vielleicht doch nie eintrifft, lebt sie lieber im Hier und Jetzt. Als junge Frau durchlebte sie eine existenzielle Erfahrung. Nach erfolgreichem Schulabschluss hatte sich Nora Schorscher 2006 vorgenommen, für ein Jahr in einem nepalesischen Kloster zu leben. Alles war bereits vorbereitet. Kurz vorher besuchte sie nur noch eine Freundin im Libanon – und der Libanonkrieg brach aus. „Ich war fast drei Wochen lang in dem Krieg gefangen“, erzählt sie.
Ich gebe mir die Freiheit, das Leben selbst entscheiden zu lassen, was es für mich bereithält.
Das Erlebte erschütterte sie. Seitdem sagt sie sich: „Ich gebe mir die Freiheit, das Leben selbst entscheiden zu lassen, was es für mich bereithält.“ Statt des fest eingeplanten Klosteraufenthalts war das nun ein Medizinstudium am Imperial College London. Denn auch, wenn sie ganz bewusst ihr Leben nicht nach einem großen Plan mit vielen zu erreichenden Zwischenzielen ausrichtet – das heißt nicht, dass sie planlos vorangeht. Schon mit zwölf Jahren stand für sie fest, Ärztin zu werden. Trotzdem bleibt sie offen für alles, was sich ihr an Chancen und Begegnungen bietet, lässt auch mal den Zufall die Richtung bestimmen. „Irgendwo hat sich bis jetzt immer eine Tür aufgetan, die mich sehr weitergebracht hat. Und wenn ich zurückblicke und sehe, was ich in meinem Leben schon alles erlebt habe, bin ich sehr dankbar und freue mich auf alles, was noch kommt.“ 2021 war das also die Aussicht, Projektleiterin zu sein.
Ihr Herz schlägt für die Medizin
Das Projekt gab es in Grundzügen schon, bevor Schorscher überhaupt ans UKW kam. 2015 wurde die Förderung dafür vom bayerischen Wissenschaftsministerium bewilligt. Studien hatten gezeigt, dass Teleintensivmedizin die Sterblichkeit, Behandlungskosten und Patientenaufenthaltsdauer auf Intensivstationen reduzieren kann. Dennoch hatte sich die Teleintensivmedizin noch nicht etabliert, ein Netzwerk fehlte. Mit diesem Pilotprojekt sollte sich das ändern. Große Entwicklungen konnten zunächst allerdings nicht verzeichnet werden. In Austauschrunden, an denen alle Unikliniken beteiligt waren, wurde über den Einsatz verschiedener, bereits verfügbarer Telemedizinsysteme debattiert. Das Fazit lautete stets: zu teuer, zu kompliziert.
2021 hieß es schließlich: Die Gelder müssen verwendet werden, ansonsten fließen sie wieder zurück. „In dem Moment bin ich meinem Chef über den Weg gelaufen“, erzählt Nora Schorscher vergnügt und scherzt: „Er hatte wahrscheinlich Angst, dass mir der Dienst im OP nicht genügt und ich bald meine Koffer packe.“
Mittlerweile ist sie seit fast acht Jahren am UKW. „Für mich ist das schon eine extrem lange Zeit“, gibt sie zu. Aufgewachsen ist Schorscher in einem kleinen Dorf in den Haßbergen, etwa eine Stunde von Würzburg entfernt. „Total süß und romantisch“ findet sie es heute. Mit 16 Jahren aber will sie etwas anderes erleben, es zieht sie in die Ferne. Sie lebt zwei Jahre in einem Internat in Norwegen und macht dort ihren Schulabschluss. Das Medizinstudium und die ersten Jahre als Ärztin absolviert sie in England.
Als die Diskussionen um einen Brexit immer drängender werden, beschließt Nora Schorscher, Großbritannien zu verlassen. Auch aus Sorge, dass ihre Approbation als Ärztin in Deutschland nicht mehr anerkannt werden könnte. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland belegt sie 2015 in Wien den Masterstudiengang Advanced International Studies an der Diplomatischen Akademie. Sie werde oft gefragt, wieso sie ein solches Fach studiert habe. „Mein Herz gehört der Medizin, aber ich finde auch andere Dinge hochinteressant“, erklärt sie. Wieso nicht eine diplomatische Laufbahn in Betracht ziehen, zum Beispiel bei der Weltgesundheitsorganisation, um auf diese Weise die Gesundheitsversorgung zu verbessern?
Hilfreiche Auslandserfahrungen
Noch möchte sie als aktive Medizinerin viel erreichen. Erst im vergangenen Jahr hatte sie ihren ersten Einsatz mit „Ärzte ohne Grenzen“ im Südsudan. Als Zwölfjährige hatte sie sich das schon vorgestellt, in Zukunft möchte Schorscher das gern wiederholen. Ihre Auslandserfahrungen haben ihr eine gewisse Gelassenheit gegeben. Zu sehen, wie Gesundheitssysteme in anderen Ländern funktionierten, helfe dabei, den Blick auf das Wesentliche zu lenken. Vor allem, wenn die Bedingungen woanders so viel schlechter sind. Ein an die Wand gefahrener NHS in England, Menschen, die im Südsudan an Krankheiten sterben, die in Deutschland zum medizinischen Alltag gehören. „Wir haben hier so viel und können so viel tun. Das ist doch wunderbar“, meint sie.
Dr. Nora Schorscher ist Fachärztin für Anästhesiologie mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin. Schon als Zwölfjährige wollte sie Ärztin werden – weil sie einen Roman über das Ebolavirus gelesen hatte und dieses bekämpfen wollte. Sie wuchs in einem kleinen Dorf in den Haßbergen, etwa eine Stunde von Würzburg entfernt, auf. Mit 16 Jahren bewarb sie sich bei der internationalen Bildungsbewegung United World College und erhielt ein Stipendium für das College in Norwegen. Nach zwei Jahren schloss sie die Schule mit dem International Baccalaureate ab.
Ab 2006 besuchte sie das Imperial College London, absolvierte dort ihr Medizinstudium und legte einen Bachelor in Healthcare Management ab. Nach Abschluss des Studiums arbeitete Schorscher für zwei Jahre in England, bevor sie 2014 für ein Jahr als Assistenzärztin der Anästhesie für die Sozialstiftung Bamberg tätig war. An der Diplomatischen Akademie Wien studierte sie von 2015 bis 2017 den Masterstudiengang Advanced International Studies. Seit Oktober 2017 arbeitet die 37-Jährige am Universitätsklinikum Würzburg und leitet seit 2021 das Pilotprojekt „Tele-Intensivmedizin in Bayern“. Anfang 2024 war sie bei ihrem ersten Einsatz für „Ärzte ohne Grenzen“ für sechs Wochen im Südsudan.
„Sie sind für das Projekt die Richtige!“, ermuntert Klinikdirektor Prof. Dr. Patrick Meybohm sie also vor vier Jahren. „Ich bin nicht die Richtige“, ist Nora Schorscher überzeugt, als sie aus einem ersten Gespräch mit einem System-Hersteller kommt. „Ich hatte gar nicht verstanden, was mir da gerade angeboten worden war“, erinnert sie sich lachend.
Der Kontrast zu ihrer Einstellung heute könnte nicht größer sein. „Das ist meine absolute Passion“, sagt sie mit Nachdruck. Das liegt auch daran, dass Nora Schorscher und ihr Team aus Intensivmedizinern und IT-Spezialisten eine andere Herangehensweise ausprobiert hatten. Statt weiterhin auf bereits existierende Telemedizinsysteme für das Vorhaben zu setzen, wollen sie eine eigene Lösung schaffen. Die Idee: einen speziell für den telemedizinischen Einsatz ausgestatteten Wagen zu entwickeln. Das Kommunikationssystem sollte sicher, barrierefrei und einfach zu bedienen sein sowie wenig Aufwand für die teilnehmenden Partnerkrankenhäuser mit sich bringen. Der Fokus lag dabei auf dem Patientenwohl: Was braucht es, um Patienten, die nicht im eigenen Haus liegen, medizinisch beurteilen zu können?
Das ist meine absolute Passion!
Die IT-Fachleute vom Servicezentrum Medizininformatik des UKW versuchen, die Wünsche der Intensivmediziner so gut wie möglich umzusetzen und tüfteln am Teleintensivwagen, befestigen einzelne Elemente mit Panzertape. „Das sah aus!“ Bei der Erinnerung an den Prototyp muss Nora Schorscher lachen. Neben ihr steht eine aktuelle Version des Wagens, die sich im Klinikalltag bewährt hat und mit einem Provisorium längst nichts mehr zu tun hat. Aber die grundlegenden Elemente und Funktionen gab es auch schon damals: Laptop, Kameras, Mikrofon, Scanner. In der neuesten Variante ist zudem eine Ablage montiert. Falls ein Krankenhaus noch nicht auf die digitale Patientenakte umgestiegen ist, können dort Unterlagen und Arztbriefe in Papierform griffbereit liegen.
Starkes Kommunikationstalent
Wenn Nora Schorscher den Wagen präsentiert, gerät sie ins Schwärmen. Nur ein Knopfdruck und der Arzt aus der Universitätsklinik erscheint auf dem Bildschirm. Eine Patientenkamera mit 30-fachem Zoom ermöglicht es, selbst Details wie das Hautkolorit exakt zu übertragen. Das Universitätsklinikum kann die Kamera auch selbst steuern, um sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen – zum Beispiel von der Beatmung oder den Perfusoren. Sollen ein Röntgenbild, Blutwerte oder eine digitale Patientenakte direkt ausgewertet werden, ruft der Arzt des Partnerkrankenhauses die entsprechenden Patientendokumente auf seinem Laptop auf und teilt einfach den Bildschirm. Über verschiedene Zugänge ist es außerdem möglich, zum Beispiel ein Ultraschallgerät anzuschließen und das Bild direkt auf den Bildschirm zu übertragen. Eine Fallkonferenz aus der Ferne? Für Nora Schorscher wird das mit ihrem Wagen zu einer sicheren Sache.
Ich liebe es, zu kommunizieren und unser Projekt vorzustellen.
Als das System den übrigen Universitätskliniken vorgeführt wird, erntet es Zuspruch von allen Seiten. Nach sechs Jahren Leerlauf war das Projekt innerhalb eines Jahres so weit, den Teleintensivwagen einzusetzen. Damit die regionale Patientenversorgung davon profitieren kann, müssen möglichst viele Partnerkrankenhäuser den Wagen einsetzen. Das braucht manchmal Überzeugungsarbeit. Was Nora Schorscher dabei hilft, ist ihr Kommunikationstalent, das sie in London und Wien im Studium perfektioniert hat. Sie ist offen, zugewandt. Beim Gespräch am UKW ist sie maximal auf ihr Gegenüber fokussiert. So sehr, dass sie selbst das irgendwann einsetzende dumpfe, fortwährende Bohrgeräusch von den Bauarbeiten im Uniklinikum nicht wahrnimmt. „Das ist mir gar nicht aufgefallen“, stellt sie am Ende verblüfft fest. Es ist nicht schwer, ihr folgende Aussage zu glauben: „Ich liebe es, zu kommunizieren und unser Projekt vorzustellen.“
Tele-Intensivmedizin in Bayern
Das Pilotprojekt „Tele-Intensivmedizin in Bayern“ ist ein Gemeinschaftsprojekt aller Universitätskliniken in Bayern. Koordiniert wird es vom Universitätsklinikum Würzburg. Ziel des Projekts, das schon 2015 gestartet wurde war es, Hürden und Kosten für den Aufbau teleintensivmedizinischer Netzwerkstrukturen zu senken. Durch die enge Vernetzung von Universitätskliniken mit peripheren Krankenhäusern soll die regionale Patientenversorgung in der Fläche verbessert werden. Ein Team aus Intensivmedizinern und IT-Spezialisten vom Servicezentrum Medizininformatik des Universitätsklinikums Würzburg entwickelte innerhalb eines Jahres einen speziell ausgestatteten Teleintensivwagen, der in Partnerkrankenhäusern eingesetzt werden kann und über den eine genaue Beurteilung von Fällen oder auch eine virtuelle Visite möglich ist.
Universitätsklinikum und Partnerkrankenhaus entscheiden gemeinsam, wie die Therapie optimal fortgesetzt werden kann oder ob eine Verlegung in ein spezielles Zentrum organisiert werden sollte. Die Kommunikation läuft über eine sichere Zoom-Verbindung. Eine besondere Infrastruktur oder ein bestimmter Digitalisierungsgrad des Partnerkrankenhauses ist keine Voraussetzung, um das System anzuwenden. Das klinikeigene Informationssystem kann genutzt werden. Mittlerweile hat jede der Universitätskliniken drei bis fünf Partnerkrankenhäuser, das Universitätsklinikum Würzburg hat bereits zehn Partnerkliniken. Inzwischen hat das Projekt gezeigt, dass durch die Telemedizin unnötige Verlegungen von Intensivpatienten verhindert werden konnten.
Um Vorbehalte und Skepsis gegenüber der Teleintensivmedizin abzubauen, hält Schorscher es für wichtig, jedes Krankenhaus, das neu ans Netzwerk angebunden wird, zu besuchen. Selbst, falls der Empfang das eine oder andere Mal „etwas stoffelig“ ausgefallen sei, wie es Nora Schorscher umschreibt – nach der Vorstellung des Systems seien bisher alle überzeugt gewesen. Erst kürzlich war sie wieder in einem Partnerkrankenhaus. Im Anschluss habe ein sehr erfahrener Kollege ihr gesagt, dass er von technischem Firlefanz in der Medizin nichts halte. „Vom Teleintensivwagen war er aber begeistert. Er ist derjenige, der es nun auch am meisten nutzt. Das zeigt uns, dass unser System wirklich angenommen wird“, freut sich Schorscher.
Mittlerweile wird der Teleintensivwagen in einer wachsenden Zahl an Kliniken eingesetzt. Jede Universitätsklinik in Bayern hat zwischen drei bis fünf Partnerkrankenhäuser, die das System einsetzen. In Würzburg sind es zehn. Perspektivisch soll es bayernweit eingesetzt werden. Auch aus anderen Bundesländern wird bereits Interesse bekundet. Aufgrund der steigenden Nachfrage wurde die Produktion inzwischen an ein Unternehmen ausgelagert. Nora Schorscher strahlt, ihr ist der Stolz über das Erreichte anzusehen.
Oft komme ich mit dem Gefühl nach Hause, etwas bewirkt und etwas Sinnvolles getan zu haben.
Der Traumberuf Ärztin hat sich für sie verwirklicht, auch wenn sie sich früher die Belastung nicht vorstellen konnte, die der Beruf mit sich bringt. Trotzdem werde einem auch viel zurückgegeben: „Oft komme ich mit dem Gefühl nach Hause, etwas bewirkt und etwas Sinnvolles getan zu haben.“ Wie es in Zukunft weitergehen wird, davon lässt sich Nora Schorscher wie immer überraschen. Sie kann sich vieles für ihre weitere Karriere vorstellen: „Ich liebe es, Einzelnen zu helfen. Aber ich habe gemerkt, dass ich es auch schön finde, mehr Menschen zu erreichen. Ich brenne wirklich dafür, Projekte zu realisieren und auf diese Weise das Gesundheitswesen zu verbessern.“
Quelle: Aileen Hohnstein (Freie Journalistin) 2025. Thieme