Spottke zur Vorhaltevergütung – „100 Prozent Finanzierung für Grund- und Regelversorger“

An der Vorhaltefinanzierung – wesentlicher Punkt der Lauterbachschen Krankenhausreform – scheiden sich die Geister. Sebastian Spottke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Marienhaus-Gruppe, legt seinen Blick auf die Dinge dar.

Herr Spottke, Sie saßen mit DKG-Chef Dr. Gerald Gaß Anfang Januar auf dem Podium bei der Pressekonferenz, als die Vebeto-Studie vorgestellt wurde. Sie haben schon damals keinen Zweifel daran gelassen, dass Sie nicht an die Versprechungen von Minister Lauterbach glauben, dass mit der Reform – gerade die kleinen – Kliniken gerettet werden. Warum?

Über die Vorhaltepauschale werden 60 Prozent der Leistungen refinanziert. Die übrigen 40 Prozent werden über Leistungen aus den dem Krankenhaus zugewiesenen Leistungsgruppen generiert, die schlussendlich aber – wie im DRG-System – mengenbezogen sind. Das führt dazu, dass gerade kleinere Häuser weniger Spielraum haben, um Leistungen zu erbringen, mit denen sie Geld verdienen können. Der Bereich für das wirtschaftliche Überleben dieser Kliniken wird also kleiner, weil sie die 60 Prozent der Vorhaltefinanzierung dafür nicht mehr nutzen können.

Wo liegt Ihrer Meinung das Problem?

Ich denke, der große Fehler beim Thema Vorhaltevergütung liegt im System selbst. Ich kenne kaum ein Krankenhaus, das keine Verluste beklagt. Selbst die großen Unikliniken und kommunalen Häuser schreiben teilweise zweistellige Millionenbeträge Minus pro Jahr. Rein an der Größe des Hauses kann es daher nicht liegen. Wir sind also in unserem aktuellen mengenbezogenen Finanzierungssystem an einem Punkt, an dem die meisten Kliniken nicht mehr auskömmlich finanziert werden für das, was sie an Vorhaltungen betreiben. Die fehlenden Investitionskosten der Länder noch gar nicht eingerechnet.

Soll jetzt ein relativ kleiner Standort erhalten werden, muss dieser mit mehr Geld unterstützt werden. Dieses Geld muss aber an anderer Stelle einem Krankenhaus weggenommen werden. Denn: Es wird ja laut Minister Lauterbach insgesamt nicht mehr Geld im System sein. 

Wir befinden uns in einer Mangelsituation, die auch weiterhin bestehen bleiben wird – auch in den nächsten Jahren in der Konvergenzphase. 

Wenn man nicht bereit ist, dem System mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wird kleinen Krankenhäusern aus dem Dilemma nicht herausgeholfen werden. Die Vorhaltefinanzierung lässt derzeit nicht erkennen, dass den großen Häusern ein Anteil weggenommen werden soll, der dann den kleineren Kliniken im Rahmen der Vorhaltefinanzierung zugutekommen soll. Wir befinden uns in einer Mangelsituation, die auch weiterhin bestehen bleiben wird – auch in den nächsten Jahren in der Konvergenzphase.

Wie wirkt sich die im Referentenentwurf zugrundeliegende Finanzierungssystematik auf kleine Kliniken genau aus?

Ein kleines Haus der Grund- und Regelversorgung wird voraussichtlich noch die Leistungsgruppe Innere Medizin, die Leistungsgruppe Allgemeinchirurgie und ggf. eine Spezialisierung haben und damit noch die ein oder andere Leistungsgruppe zugewiesen bekommen. Vieles wird an diesen Häusern allein von der Vorhaltung her nicht mehr möglich sein, weil das bloße Vorhalten so viel Ressourcen fordern wird, dass diese Häuser sich dann sehr schwer tun werden. 

Krankenhäuser werden in regionalen Versorgungsstrukturen denken und mit anderen Kliniken aus der Region kooperieren müssen. 

Wo es möglich ist, werden diese Krankenhäuser dann in regionalen Versorgungsstrukturen denken müssen und mit anderen Kliniken aus der Region, die eine gewisse Größe oder ein gewisses Portfolio an Leistungsgruppen haben, kooperieren müssen. Das ist auch tendenziell richtig, ändert aber prinzipiell nichts an der Tatsache, dass kleine Krankenhäuser bereits jetzt nicht in die Lage versetzt werden, die Vorhaltekosten für das, was sie anbieten, zu refinanzieren. Auch wenn nur Notfallmedizin und Innere Medizin im Leistungsportfolio der Klinik auf dem Land ist, muss dieses Haus verhältnismäßig viel vorhalten, was nicht mit der Pauschale von 60 Prozent gedeckt ist.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Wenn Minister Lauterbach die Vorhaltevergütung wirklich ernst meinen würde, müsste man aus meiner Sichtweise zuerst einmal die einzelnen Häuser anschauen und festhalten, welche Strukturen aufrechterhalten werden sollen oder müssen – gerade vor dem Hintergrund des regionalen Bedarfs. Gibt es neben der Notaufnahme noch eine allgemeine Innere Abteilung und weitere grundsätzliche Leistungen, die ich vorhalten will, dann kann ich genau ausrechnen, welche ärztlichen, pflegerischen und sonstigen strukturellen Leistungen wie Energiekosten dieses Krankenhaus vorhalten muss, um diese Leistung anzubieten. Und das muss dann zu 100 Prozent refinanziert werden als Vorhaltepauschale.

Dieser kleine Grund- und Regelversorger in der Fläche müsste also, sofern er bedarfsnotwendig ist, vollständig finanziert werden. Natürlich muss diese Klinik im Nachhinein die tatsächlichen Kosten nachweisen und zu viel gezahlte Vorhaltevergütung wieder zurückzahlen. Es soll ja nicht sein, dass man sich über eine Vorhaltung bereichert. Das wäre für mich ein System einer echten Vorhaltevergütung. Dieses System würde die kleinen Krankenhäuser in der Fläche unterstützen, nicht die derzeit im Referentenentwurf zugrundeliegende Finanzierungssystematik.

Aber kostet das nicht auch mehr Geld? Woher soll das kommen?

Ich glaube nicht, dass dieses Vorgehen de facto am Ende mehr Geld kostet als jetzt. Wir müssten im Rahmen der Krankenhausreform nur ehrlich sagen, welche Standorte wir für die Grund- und Regelversorgung in Deutschland tatsächlich brauchen und welche nicht – trägerunabhängig. Damit würde Geld frei, weil wir momentan vielerorts Doppelstrukturen bezahlen. Würden wir das ehrlich betreiben, könnten wir uns eine 100-prozentige Finanzierung der Vorhaltekosten – mengenunabhängig – genau dort leisten, wo wir sie wirklich aufrechterhalten müssen.

Das wäre eine wirkliche Entökonomisierung und auch eine Entbürokratisierung. Denn die Vorhaltefinanzierung, so sie denn kommt, bietet ein enormes Streitpotenzial zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen. Wir sollten die Finanzierungsmechanismen einfacher gestalten als sie heute sind, nicht komplizierter.

Bräuchte man dann überhaupt die Leistungsgruppen?

Nein, für die kleinen Kliniken in der Grund- und Regelversorgung bräuchte man diese nicht. Dennoch bin ich der Auffassung, dass wir einen Wettbewerb in der spezialisierten Medizin benötigen. Da bin ich ganz bei Minister Lauterbach. Für die Bereiche, wo wir Spezialisierung und Innovationen wollen, macht es dann durchaus Sinn, ein System zu etablieren, das die besten Häuser belohnt.

Herr Lauterbach – und auch die DKG – ist der Meinung, dass wir zu viele Krankenhäuser haben. Sehen Sie das anders?

Nein, wir haben zu viele Krankenhäuser und ich gehe auch mit Minister Lauterbach mit, wenn er die Spezialisierung vorantreiben will. Er liebt das Beispiel der Onkologie und sieht dort zwei Drittel der Patienten richtig gelenkt, ein Drittel falsch. Das ist nachvollziehbar und nicht ganz falsch. Wir dürfen bei all den Betrachtungen jedoch die Grund- und Regelversorgung nicht aus dem Blick verlieren. Wie die weiterhin aufrechterhalten werden soll, ist im jetzigen Gesetzentwurf noch offen, da habe ich noch keine Antwort drauf gefunden. Das halte ich für brandgefährlich.

Wenn wir es nicht zeitnah schaffen, für diese kleinen Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung eine echte Vorhaltevergütung zu etablieren, dann werden wir diese flächendeckende Versorgung bis 2029 – wenn die Reform voll greift – gar nicht mehr haben und es werden vielerorts Versorgungslücken entstehen. 

Wie wir die Grund- und Regelversorgung aufrechterhalten wollen, ist im jetzigen Gesetzentwurf noch offen. Das halte ich für brandgefährlich. 

Wie kann die Versorgung aus Ihrer Sicht organisiert werden, damit die Bevölkerung auch künftig auf dem Land gut versorgt ist?

Es gibt aus meiner Sicht ein paar Krankheitsbilder und medizinische Fälle, die wir unbedingt im Blick haben müssen. Das ist einmal die Geburt, die keine Krankheit, sondern per se etwas ganz Großartiges ist. Sie bringt aber einen gewissen Zeitdruck mit sich. Dann haben wir den Schlaganfall und den Herzinfarkt – ebenfalls Krankheitsbilder, bei denen die Zeit entscheidend ist. Und es gibt noch den Unfall, bei dem dringend schnell eine Unfallchirurgie benötigt wird. Für diese ersten Fälle brauchen wir eine Notfallversorgung.

Daher müssen wir im Zuge der Krankenhausreform unbedingt auch die Rettungsdienstreform mitdenken. Wir müssen auch hier so mutig sein zu überlegen, wie wir gerade für die Patienten, die eine sehr intensive, schnelle und komplexe Behandlung benötigen, die bestmögliche Versorgung organisieren können. Wir werden sicherlich nicht alle vermeintlichen Herzinfarkte nach zu üppigem Gänsebratengenuss zu Weihnachten per Helikopter in die nächste Uniklinik fliegen.

 Dennoch muss gewährleistet sein, dass diejenigen, die es benötigen, schnellstmöglich in eine entsprechend spezialisiertes Krankenhaus gebracht werden.

Aber auch hier komme ich wieder zu meiner Frage: Was ist mit den Patienten, die nur einen kleineren chirurgischen Eingriff benötigen oder über Nacht beobachtet werden müssen? Diese Patienten wollen nicht 50 Kilometer und mehr dafür fahren. Und hier komme ich wieder auf die Grund- und Regelversorger zurück, die wir genau für diese Fälle benötigen. Hier geht es auch ein Stück weit darum, die größeren Krankenhäuser, die die komplexeren Fälle behandeln sollen, zu entlasten.

Wie schätzen Sie die momentane Situation ein?

Derzeit befinden wir uns in einem kalten Strukturwandel, ausgelöst durch eine feige Insolvenzwelle, nur weil sich keiner traut mutig zu sagen, dass wir das ein oder andere Krankenhaus strukturell nicht benötigen.

Dieser momentan ungesteuerte Schließungsprozess führt dazu, dass wir uns fragen müssen, welches Krankenhaus es 2029 – am Ende der Reform – eigentlich noch gibt. Denn die Insolvenzwelle macht auch vor großen Häusern und Trägern nicht Halt. Auch bei uns in der Marienhaus-Gruppe ist ein Haus dieses Jahr in die Insolvenz gegangen. Bis 2029 wird es eine noch nie dagewesene Menge an Krankenhausinsolvenzen geben, allen voran von kleinen Kliniken. Ich befürchte, dann ist nicht mehr viel von der Struktur übrig, auf die heute Minister Lauterbach seine Reform aufsetzen will.

Wir brauchen eine tatsächliche Refinanzierung der Tarifsteigerungen 2024, die momentan zwar auf mündlichen Zusagen des Ministers basiert, ich habe sie im Gesetzestext jedoch noch nicht gefunden. Dann bleibt jedoch noch die Frage: Wie will Minister Lauterbach das finanzieren?

Und auch beim Transformationsfonds bin ich skeptisch. Die Krankenkassen laufen Sturm und überlegen den Klageweg, die Länder und auch der Bund haben das Geld faktisch nicht. Dieser Fonds ist dafür gedacht, Krankenhäusern bei der Transformation zu helfen – Strukturen zusammenzulegen und abzubauen, Sozialpläne zu finanzieren etc. Bei der Geschwindigkeit, mit der die Kliniken gerade Verluste produzieren, ist bis 2026 – wenn der Fonds dann zugeteilt werden soll – nicht mehr viel Krankenhausstruktur da, die transformiert werden kann. Daher ist das Thema Zeit für mich bei der Reform genauso wichtig wie die Frage, woher das Geld überhaupt kommen soll.

Quelle:  Alexandra Heeser (freie Journalistin) 2024. Thieme