Rekorddefizite „Investiv läuft alles schief“ – Berlins Krankenhausmisere

Eigentlich müsste es Berlins Krankenhäusern besser gehen als anderen: eine relativ niedrige Bettendichte, ein hoher Case-Mix, ein erfolgreich verhandelter Landesbasisfallwert. Stattdessen drohen hohe Verluste zur Normalität zu werden. Das sind die Gründe.

„Vivantes ist auf Sanierungskurs“, kommentiert der Chef des größten kommunalen Krankenhausunternehmens in Deutschland, Johannes Danckert, das finanzielle Ergebnis des vergangenen Jahres. Die Sanierung greife, verkündet der Berliner Medizinkonzern, der zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört. Die Neuausrichtung gehe voran. Man sei im Plan.

Noch immer steht zwar unter dem Strich ein Verlust von 146 Millionen Euro für 2024. Doch das sei „deutlich besser als der Planansatz“. Angeblich lag dieser nämlich sogar bei 175 Millionen Euro. Und so drückend das Minus auch sein mag, ein Gesundschrumpfen soll es offenbar nicht geben: „Wir gehen davon aus, dass Vivantes auch unter den Bedingungen der Krankenhausreform künftig alle Leistungen anbieten wird, die wir heute erbringen und jeder Standort erhalten bleibt“, erklärt Danckert.

Vivantes hofft auf Unterstützung

Kern der angekündigten Neuaufstellung ist, das jährliche Defizit in zwei Stufen bis zum Jahr 2029 um 110 Millionen Euro zu senken. Betriebsbedingte Kündigungen oder Einschnitte bei der Vergütung soll es nicht geben. Mehr noch: Laut Personal-Geschäftsführerin Dorothea Schmidt wurde die Zahl der Mitarbeitenden und Auszubildenden vor allem in der Pflege aufgestockt – trotz herausfordernder Rahmenbedingungen.

Geld einsparen will Vivantes erklärtermaßen „mit einer zielgenaueren Erlös- und Personalplanung, durch Einsparungen im Einkauf und die Standardisierung von Prozessen und Verbrauchsmaterialien“. Das Leistungsportfolio soll im Rahmen des neuen Berliner Krankenhausplans zentralisiert und gestrafft, mehr Leistungen ambulant erbracht werden, heißt es.

„Mit Unterstützung des Landes Berlin müssen wir Vivantes bis 2029 wirtschaftlich so aufstellen, dass wir das führende Klinikunternehmen der Metropol-Region bleiben“, sagt Danckert und in dieser Ankündigung steckt womöglich ein gutes Stück Hoffnung.

Vivantes

In den Krankenhäusern von Vivantes wurden 2024 insgesamt 358 225 Fälle ambulant und 197 575 Fälle stationär behandelt, rund fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Zählt man die Vivantes MVZ dazu, waren es sogar 735 129 Fälle. Die Zahl der operativen Eingriffe stieg um knapp fünf Prozent auf 92 087. Die Erlöse aus Krankenhausleistungen wuchsen um 11,8 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro.

Kürzungen im Haushalt

Berlin muss sparen. Der Berliner Senat hat im Nachtragshaushalt für 2025 Kürzungen in Milliardenhöhe vorgenommen. Betroffen ist explizit auch die medizinische Versorgung. Krankenhäuser werden demnach 29 Millionen Euro weniger für Investitionen erhalten als ursprünglich geplant. 

Investiv läuft alles schief. 

„Überproportional“ nennt der Vorstand der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG), Marc Schreiner, den geforderten Spar-Obolus: „Hinzu kommt, dass der geplante Transformationsfonds, an dem sich die Länder hälftig beteiligen sollen, von Berlin eigentlich eine Co-Finanzierung von 130 Millionen Euro verlangen würde“. In die Haushaltsplanung eingestellt habe der Senat aber lediglich zehn Millionen Euro: „Investiv läuft also alles schief“, empört sich der Verbandsmanager.

Die BKG veranschlagt den Investitionsbedarf für Technik und Gebäude bis 2030 auf insgesamt 500 Millionen Euro. „Mit den nun festgelegten Einsparungen von 29 Millionen Euro bleiben den Krankenhäusern noch rund 161 Millionen Euro an investiven Mitteln, also nur ein Drittel an benötigten Mitteln“, kritisieren die Berliner Branchenvertreter.

Das allgemeine Sparziel von zehn Prozent werde bei den Krankenhäusern erheblich überschritten, kritisiert Brit Ismer, Vorstandsvorsitzende und Kaufmännische Vorständin des Jüdischen Krankenhauses Berlin. Operativ sieht es kaum besser aus: Massiv gestiegene Preise bei Energie, Medizinprodukten und Materialien belasten, dazu kommen teure Tarifsteigerungen.

Neue CFM-Löhne kosten zusätzlich Millionen

Auch aktuell gibt es in Berlin Zoff mit Verdi. Gestreikt wird unter anderem an der Charité-Facilitymanagement-Tochter (CFM). Dort arbeiten rund 3500 Menschen unter anderem in den Bereichen Medizintechnik, Krankentransport, Reinigung und Sicherheit. Für 3200 von ihnen forderte Verdi eine Bezahlung nach dem an der Charité gültigen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVÖD).

Nach monatelangen Streiks und Verhandlungen haben sich die Parteien Anfang Juni auf einen Stufenplan einigen können: Die CFM-Beschäftigten sollen ab Juni 88 Prozent des TVÖDs und eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro erhalten. Danach steigt das Gehalt jedes weitere Jahr. Am 1. Januar 2030 soll dann die Angleichung vollzogen sein. BKG-Chef Schreiner warnt: Die durch die Ausgliederung erreichten Tarifunterschiede werden nun neutralisiert. „Dadurch allein entstünde der Charité eine mögliche Zusatzbelastung von 40 Millionen Euro pro Jahr.“

Warum straucheln die Berliner Häuser?

Nach Darstellung der Berliner Krankenhausgesellschaft schreiben aktuell etwa 70 Prozent der Krankenhäuser der Stadt rote Zahlen. „Die derzeitigen Pläne für den nächsten Landeshaushalt fühlen sich für uns alle an wie eine Ohrfeige“, wettert Christian Friese, Vorsitzender der Geschäftsführung der DRK Kliniken Berlin.

Dabei müsste es den Kliniken in Berlin eigentlich verhältnismäßig gut gehen: Es gebe kein Berliner Standortproblem, sagt Schreiner: „Die Ausgangslage ist eigentlich nicht so schlecht: im Vergleich zu anderen Bundesländern hat Berlin eine relativ niedrige Bettendichte, der durchschnittliche Case-Mix ist mit einem Case-Mix-Index (CMI) von 1,2 bis 1,3 relativ hoch. Als Wissenschaftsstadt bietet Berlin innovativen Start-ups und ihren Entwicklungen ein gutes Umfeld. Auch beim Landesbasisfallwert (LBF) haben die Berliner Krankenhäuser zuletzt immer die volle Steigerungsrate aushandeln können. Mit aktuell 4399,57 Euro ist er im Vergleich zu anderen Bundesländern eher hoch.“

Das alles reicht aber offenbar nicht mehr. „Die Krankenhäuser in Berlin haben durch aufgelaufene Defizite die gleichen Unzulänglichkeiten bei der Finanzierung der Betriebskosten wie in allen anderen Bundesländern auch“, sagt Schreiner. Die im LBF abgebildeten Preissteigerungen reichten nicht aus. Die dadurch entstehende Lücke schleppe man von einem Jahr in das nächste mit.

Defizit der Charité bleibt hoch

Das gilt offenbar auch für Berlins prominenteste Krankenhausmarke, die Berliner Charité: Das vergangene Jahr schloss die Universitätsmedizin nach eigenen Angaben mit einem Minus von 87,4 Millionen Euro ab. Es hätte offenbar noch schlimmer kommen können, ein Jahr zuvor lag das Defizit noch um 47,2 Millionen Euro höher.

Vorstandschef Prof. Heyo Kroemer erklärt den satten Verlust notgedrungen zum Erfolg: „Wir sind mitten in einem bedeutenden Veränderungsprozess innerhalb unseres Gesundheitssystems“, betont er. Im Jahr 2023 hatte der Vorstand des bekanntesten deutschen Uniklinikums einen Konsolidierungskurs angekündigt. Ziel zunächst: ein niedrigeres negatives Jahresergebnis. Das immerhin sei durch Leistungssteigerungen insbesondere in den klinischen Bereichen erreicht worden, sagt Kroemer. 

Wir sehen die Kosten-Erlös-Schere dynamisch weiter auseinandergehen. 

Auch nach Darstellung von Astrid Lurati, Vorstand für Finanzen und Infrastruktur reagiert die Charité auf schwierige Rahmenbedingungen und begrenzte öffentlichen Mittel: „Wir haben im Geschäftsjahr mit unterschiedlichen Maßnahmen stringent auf den wirtschaftlichen Verlauf im Klinikbereich Einfluss genommen“, kommentiert sie die aktuellen Geschäftszahlen. Es sei im Ergebnis gelungen, das strukturelle Finanzierungsdefizit teilweise zu kompensieren und den Fehlbetrag im Vergleich zum Vorjahr operativ zu reduzieren. „Allerdings sehen wir die Kosten-Erlös-Schere dynamisch weiter auseinandergehen“, warnt Lurati.

Charité

Zusammen mit dem Deutschen Herzzentrum (DHZC) versorgte die Charité nach eigenen Angaben mehr als 143 700 stationäre und teilstationäre und rund 822 500 ambulante Fälle. Die Umsatzerlöse erreichten mehr als zwei Milliarden Euro, davon 1,5 Milliarden Euro aus dem stationären Bereich sowie gut 190 Millionen Euro durch ambulante Leistungen.

Zu alledem kommt schließlich noch der schwelende Streit um die Verteilung der aus Sicht der Krankenhausvertreter ohnehin zu wenigen Mittel: Im August 2023 hatte ein Bündnis von etwa 30 freigemeinnützigen Krankenhäusern um die DRK Kliniken Berlin Köpenick Klage gegen das Land Berlin eingereicht. Sie führen an, dass die landeseigenen Kliniken durch Sonderzahlungen bevorzugt würden. Dadurch fühlen sich die Kläger „eklatant benachteiligt“. Hintergrund sind vor allem millionenschwere Sonderzahlungen an den kommunalen Klinikkonzern Vivantes.

Das Bündnis wirft dem Land vor, Vivantes in den Jahren 2019 bis 2022 zusätzlich zu den regulär vorgesehenen Investitionsmitteln 515 Millionen Euro zur Verfügung gestellt zu haben. Im Haushalt 2023 folgten nach Darstellung der klagenden Parteien als Defizitausgleich und für weitere Investitionen zusätzlich 225 Millionen Euro. Weitere 572 Millionen Euro stünden zur Diskussion. 

Das Verfahren zieht sich sehr zäh dahin. 

Noch ist Zählbares für die Kläger aber nicht herausgekommen: „Das Verfahren zieht sich doch sehr zäh dahin“, konstatiert Christian Friese von den DRK Kliniken Berlin.

DRK-Kliniken beklagen fehlende Mittel

Wie die kommunale Konkurrenz knüpfen auch die freigemeinnützigen Krankenhäuser den eigenen Sparerfolg an Investitionen: Mit der Reform werde sich die Krankenhauslandschaft grundsätzlich verändern, sagt Friese. Sein Haus sehe den Veränderungsbedarf. Mit der Zusammenführung der Häuser in Mitte und Westend gehe man diesen Schritt schon jetzt. Aber natürlich gebe es solche Konzentrationsprozesse nicht zum Nulltarif: Es müssten neue Bereiche ertüchtigt werden, Umbauten zum Beispiel in der Endoskopie und auf der Intensivstation seien notwendig, und ambulante Strukturen müssten geschaffen werden: „Es ist mir absolut unverständlich, warum für dieses Ansinnen – eine stärkere Ambulantisierung – überhaupt keine Mittel im Transformationsfonds vorgesehen sind“, kritisiert er.

Für die Berliner Krankenhausgesellschaft ist die Situation außerordentlich undankbar. Die Kliniklobbyisten sitzen zwischen allen Stühlen. „Das Land Berlin setzt für die Umsetzung des Versorgungsauftrags zu gleichen Teilen auf kommunale und auf private Krankenhäuser“, betont die BKG diplomatisch.

Recht einsilbig kommentieren die gesetzlichen Krankenkassen, denen vor dem Hintergrund der eigenen Finanzmisere vor weiteren Ausgabensteigerungen im laufenden Geschäft graut. Der GKV-Spitzenverband fordert bereits ein Kostenmoratorium, um die steigenden Ausgaben zu begrenzen. „Die Ersatzkassen in Berlin und Brandenburg beobachten mit Sorge, dass die Ausgaben insbesondere in den Bereichen Krankenhaus, Arzneimittel und ambulante Versorgung deutlich schneller steigen als die Einnahmen“ erklärt ein Sprecher. Die vorgezogene Auszahlung von Steuermitteln an den Gesundheitsfonds unterstreiche die angespannte Finanzlage der GKV. Es brauche kurzfristig Maßnahmen, um die Ausgabendynamik zu bremsen.

Quelle: Sabine Rößing (Freie Journalistin) 2025. Thieme