Transformationsprozess – Regionale Versorgung neu denken – Praxisbeispiel Ostfriesland

Ostfriesland hat bereits eine Klinik in ein Regionales Gesundheitszentrum umgewandelt. Welche Lehren daraus für die weitere Transformation gezogen werden konnten, berichten ostfriesische Gesundheitsakteure.

Die Gesundheitsversorgung insbesondere im ländlichen Raum Ostfrieslands stellt alle Akteure in den nächsten Jahren vor Herausforderungen. Die drei bestehenden Krankenhäuser in Emden, Aurich und Norden können nur defizitär betrieben und nicht alle Leistungen können vorgehalten werden. Nach Prognosen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) liegt zudem beispielsweise der hausärztliche Versorgungsgrad im Landkreis Aurich für das Jahr 2035 bei 60 Prozent. 

Bereits vor einigen Jahren wurde daher durch die vom Landkreis Aurich und der kreisfreien Stadt Emden gegründete gemeinsame Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden mbH mit der Planung und nunmehr aktuell mit dem Bau eines Zentralklinikums in Georgsheil/Uthwerdum begonnen. Die Altstandorte sollen zukünftig einer Nachnutzung in der Gesundheitsversorgung zugeführt werden. Die Ubbo-Emmius-Klinik Norden wurde bereits 2023 in ein Regionales Gesundheitszentrum (RGZ) umgewandelt. Erste Erfahrungen in der Transformation von stationär und ambulant auf der Grundlage einer Planung regionaler Versorgungsstrukturen können daher auch für andere Regionen hilfreich sein.

Vom Krankenhaus zum Regionalen Gesundheitszentrum

Die Ubbo-Emmius-Klinik musste aufgrund sinkender Patientenzahlen, nicht zu besetzender Ärztestellen und wirtschaftlicher Herausforderungen im Juli 2023 in den bisherigen Strukturen teilgeschlossen und als Regionales Gesundheitszentrum neu ausgerichtet werden. Die Notfallambulanz ist nun nicht mehr ganztägig geöffnet, sondern nur noch tagsüber von Montag bis Samstag. Die somatische Abteilung des Krankenhauses mit 150 stationären Betten, die meist nur zu einem Drittel ausgelastet waren, wurde auf 25 Betten reduziert. Die Psychiatrie blieb von der Transformation unberührt.

Dieser Schritt spiegelt die Bemühungen wider, eine bedarfsgerechte Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen, wie es das Land Niedersachsen fordert. In enger Abstimmung mit der Arbeitnehmervertretung wurde die intensivmedizinische Versorgung, die operative Einheit und auch große Teile des funktionsmedizinischen Angebotes schrittweise an die beiden anderen Standorte des Klinikverbunds verlagert. Alle verbliebenen Stationen wurden auf eine zentralisiert. So konnten Fachkompetenzen in den Bereichen Innere Medizin, Allgemeinchirurgie, Palliativmedizin und der Schmerzmedizin auf einer Ebene gebündelt und Synergien genutzt werden. Der neue Personalbedarf wurde ermittelt, den Mitarbeitenden wurden mindestens drei Angebote zur Weiterbeschäftigung an den anderen beiden Standorten Aurich oder Emden gemacht. Das übrige Personal wurde anschließend einer Sozialauswahl unterzogen.

Auch eine kardiologische Ermächtigungsambulanz wurde neu beantragt sowie die Schmerzambulanz am Standort fortgesetzt. Zusätzlich wurde das Innovationsfondsprojekt Statamed zeitgleich mit den neuen Strukturen eingeführt. So konnten Kommunikationskanäle aufgebaut werden, die den fachlichen Austausch fördern und niedergelassene Ärzte über das neue Leistungsspektrum des RGZ informieren. Dies half, Vertrauen in die Klinik als zuverlässigen Partner für Einweisungen aufzubauen, die Patientenzuweisung an dem Standort zu sichern und somit die stationären Kapazitäten auszulasten. Mit der Versorgung durch Flying Nurses, speziell geschulte, mobile Pflegefachkräfte und Patientenlotsen konnte ein neues Angebot geschaffen werden. Dies diente der Sicherstellung der Patientenversorgung auch über das stationäre Angebot hinaus und baute eine Brücke zur ambulanten Versorgung.

Erste Erfahrungen in der Umsetzung

Die Umstrukturierung der Klinik in ein RGZ verdeutlicht, wie wichtig eine Anpassung der Strukturen an die veränderten Patientenströme und an die personellen Herausforderungen ist. Es muss ein bedarfsgerechtes Angebot geschaffen werden, welches die Gesundheitsversorgung in der Region stabilisiert sowie Krankenhäuser der Grund-und Regelversorgung entlastet. Die Verlagerung von Angeboten an die anderen Standorte hat gezeigt, dass die Zentralisierung spezialisierter Leistungen sowohl die Wirtschaftlichkeit erhöht, als auch die Versorgungsqualität stabilisiert. Dies gelang durch die zentrale Bündelung von Kompetenzen. 

Die Anpassung der Öffnungszeiten der Notfallambulanz auf die am stärksten ausgelastete Tageszeit optimierte die Nutzung der vorhandenen personellen und finanziellen Ressourcen. So konnten Kosten, beispielsweise durch die übermäßige Nutzung von Arbeitnehmerüberlassung, vermieden werden, während gleichzeitig die Basisversorgung vor Ort sichergestellt wurde. RGZs wie am Standort in Norden zeigen, wie strukturelle Anpassungen der Versorgungslandschaft in Nachfolge eines basisversorgenden, jedoch nicht bedarfsnotwendigen Krankenhauses einen Beitrag leisten können.

Um Fachkräfte zu binden, war es wichtig frühzeitig alternative Arbeitsplatzangebote zu prüfen. Somit konnte den Mitarbeitenden eine Sicherheit geboten und Lücken in den anderen Häuser geschlossen werden. Die Abstimmung mit Arbeitnehmervertretungen war hier ebenso entscheidend, um die Interessen der Mitarbeitenden zu berücksichtigen. Solche Dialoge schaffen Transparenz, erleichtern die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden und können Spannungen abbauen. Die Bereitstellung von Abfindungsangeboten sorgte dafür, dass der Prozess sozialverträglich gestaltet wurde und stärkte den Ruf des Arbeitgebers.

Unsicherheiten auf verschiedenen Ebenen

Lehrreich in diesem Prozess waren die Unsicherheiten sowohl in der Bevölkerung als auch in der Belegschaft. Vor allem die eingeschränkten Öffnungszeiten der Notfallambulanz wurden immer wieder diskutiert, da die Notfallversorgung ein zentraler Aspekt der Gesundheitsinfrastruktur in Norden war. Eine erhöhte Kommunikation über das verbleibende Leistungsangebot und das Verhalten im Notfall hätten möglicherweise das Verständnis und die Akzeptanz für die Veränderungen erhöht.

Auf Seiten der Belegschaft führten die Verlagerung von Funktionen und die Personalreduktion bei vielen zu Unsicherheit, Belastung und teilweise auch Widerstand. Der Einsatz von Coaching oder psychologischer Unterstützung während einer Transformation könnten das Wohlbefinden der Mitarbeitenden nachhaltig stärken. Ebenso hätte auch hier eine stärkere Kommunikation in Richtung der Mitarbeitenden unter Umständen die Situation verbessert.

Die Umstrukturierung erfolgte unter einem engen Zeitplan. Ein längerer Vorbereitungszeitraum hätte den Prozess für alle Beteiligten reibungsloser gestalten können, da so mehr Raum für Details und Feinabstimmung bestanden hätte. Eine ergänzende Analyse und Planung, die sich stärker an die zukünftigen Bedarfe in der Region orientiert, hätten geholfen, die Nachhaltigkeit der Versorgung sicherzustellen. Dies könnte auch die Wirtschaftlichkeit im gesamten Verbund weiter verbessern. Insbesondere wenn eine Versorgungsnotwendigkeit durch regionale Gesundheitszentren, sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen oder sogenannte Level 1i-Häuser festgestellt wird, ist es unabdingbar, auskömmliche finanzielle Rahmenbedingungen herzustellen.

Analyse und Planung regionaler Versorgungsstrukturen

Die klassischen ambulanten Versorgungsstrukturen im Flächenland werden langfristig den Versorgungsbedarf aufgrund zunehmender Inanspruchnahme bei gleichzeitigem Fachkräftemangel nicht sicherstellen können. Das betrifft insbesondere den ärztlichen Bereich und vor allem den ländlichen Raum. Versorgung muss zum einen im Sinne von multiprofessionellen und vernetzten Teams neu gedacht werden. Zum anderen muss der Fokus stärker auf Prävention und Gesundheitsförderung sowie soziale Komponenten verschoben werden. 

Vor diesem Hintergrund und gemäß dem Ansatz „Health in all Policies“ haben im letzten Jahr Gesundheitsakteure aus den unterschiedlichsten Bereichen den gemeinnützigen Verein „Gesundes Ostfriesland e. V.“ gegründet. In den verschiedenen Handlungsfeldern sind bereits die ersten Projekte und Initiativen gestartet. Grundlage ist hierbei eine neu entwickelte datenbasierte kommunale Versorgungsstrukturanalyse. Auf deren Grundlage erfolgte eine Versorgungsplanung, die einen breiten Ansatz verfolgt und unter anderem telemedizinische Modelle und multiprofessionelle Zentren miteinschließt.

Über die Autoren

Dr. Alexander Dinse-Lambracht, Chefarzt Interdisziplinäres Notfallzentrum der Kliniken in Aurich, Emden und Norden und Veronika Bernhardt-Wilts, Projektkoordinatorin RGZ Norden, sind primär bei der Trägergesellschaft beschäftigt. Sie engagieren sich außerdem im Verein Gesundes Ostfriesland als Vorstände.

Prof. Dr. Philipp Walther ist Initiator, Mitgründer und zweiter Vorsitzender von Gesundes Ostfriesland e.V.. Zudem ist er Professor für Gesundheitsmanagement an der Hochschule Fresenius.

Verschiedene Handlungsfelder zur Planung der Strukturen der Gesundheitsversorgung ließen sich so herausarbeiten. Es handelt sich hierbei insbesondere um die Sicherstellung der wohnortnahen Primärversorgung sowie die Stärkung von Gesundheitsförderung, Prävention und Gesundheitskompetenz der Bevölkerung. Weiterhin sollten digitale Möglichkeiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Versorgung in Betracht gezogen und die Gemeindeattraktivität gestärkt werden. 

Im Abgleich mit dem erstellten Portfolio an Lösungsansätzen können konkrete Maßnahmen sowie ein Zielbild der Gesundheitsversorgung 2035 für die Gemeinde Krummhörn entwickelt werden. Eine Rolle werden hierbei Primärversorgungszentren mit multiprofessionellen Teams, aber auch neue Berufsbilder wie die Community Health Nurses spielen. Bei der Stärkung der Gesundheitskompetenz könnten noch stärker bestehende Communities und Vereinsstrukturen genutzt werden. Eine besondere Rolle wird außerdem der Telemedizin und Telecare zukommen. Der daraus resultierende Leitfaden zur Steuerung kommunaler Gesundheitsversorgung dient als Managementkonzept und stärkt bei Anwendung die Rolle von Kommunen als Gestalterinnen der Gesundheitsversorgung vor Ort in den Punkten Transparenz, Vertrauensbildung und Daseinsfürsorge.

RGZ als Baustein regionaler Gesundheitsversorgung

Die Etablierung von RGZs kann ein entscheidender Beitrag zur Daseinsvorsorge sein. Hierbei ist ein Überwinden struktureller Hemmnisse durch sektorale Trennung und duales Facharztsystem unabdingbare Voraussetzung, da sich andernfalls kein stabiles Finanzierungskonzept abseits von Projektansätzen realisieren lassen wird. Die Transformation eines Krankenhauses in ein RGZ benötigt neben einem politischen Rahmen auf kommunaler und landesweiter Ebene eine entschiedene Projektleitung, die nicht notwendigerweise im (dann ehemaligen) Krankenhaus liegt.

RGZs können in verschiedene Strukturen der Primärversorgung eingebunden werden und telemedizinische Angebote können ebenso oder in Kombination mit neuen personellen Konzepten, z. B. durch die Einbindung nicht-ärztlicher Heilberufe einen substanziellen Beitrag leisten. Eine öffentliche Debatte zur Zukunftsversorgung mit Gesundheitsdienstleistungen kann dienlich sein, wenn der Konsens zur Veränderung besteht. Ein Festhalten an alten und etablierten Strukturen jedoch wird die notwendige und gestaltende Veränderung nicht befördern.

Wo immer möglich sollten RGZs mit nahegelegenen Großkrankenhäusern auf mehreren Ebenen kooperieren. Zeitlich latent bei geplanten Übernahmen und Versorgungen, aber auch kurzfristig und schnell bei der Versorgung von Notfallpatienten. Hier können telemedizinische Angebote mit Echtzeitdatenübertragung ebenso wie gemeinsam genutzte digitale Falldokumentationen oder ein ad hoc-Austausch über elektronische Patientenakten sinnstiftend eingesetzt werden.

Der weitere Transformationsprozess mit der Errichtung und Inbetriebnahme, die Umwandlung der beiden weiteren Altstandorte sowie die Sicherstellung der Versorgung in der Fläche bedarf einer engen Begleitung in der Versorgungsanalyse und -planung sowie einer Projektsteuerung durch eine Managementgesellschaft. Darüber hinaus zeigen die ersten Erfahrungen die Notwendigkeit von internen Change-Prozessen, aber auch die kommunikative Begleitung der Bevölkerung.

Quelle: Dr. Alexander Dinse-Lambracht, Veronika Bernhardt-Wilts (beide Trägergesellschaft Kliniken Aurich-Emden-Norden), Prof. Philipp Walther (Gesundes Ostfriesland e.V.)

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